Experten-Talk

Das Ende des Tourismus

Harry Gatterer Copyright by Wolf Steinle

Harry Gatterer Copyright by Wolf Steinle

Wer über die Zukunft des Tourismus nachdenken will, muss den Tourismus abschaffen.

Nein. Das soll keine populistische Headline sein. Es ist der ernst gemeinte Hinweis, dass der Tourismus, wie wir ihn kennen, in einer Sackgasse steckt. Denn: Wer Tourismus sagt, denkt in Logistik, Preisvergleichen, Angeboten für Fremde die bald wieder weg sind und ähnlichen Kategorien.

Seien wir mal ganz ehrlich: Wer will heute schon noch Tourist sein? Wird ein Wiener vor der weltbekannten Oper von einem Pseudo-Mozart zur abendlichen Vorstellung eingeladen, zuckt er entsetzt zusammen. „Ich, ich bin doch kein Tourist. Oder schaue ich etwa so aus?“. Und nein, das ist kein österreichisches Phänomen. Dem Hamburger wird es beim Spaziergang entlang des Hafens ähnlich gehen, wie dem Mailänder vor dem Dom. Anderer Schauplatz, gleiches Spiel.

Aber auch den Touristen geht es so. So gut wie niemand will heute noch ein “Tourist” sein: Touristen-Bude, Touristen-Restaurant, Touristen-Bus. Alles Begriffe, die zu Schimpfwörtern mutiert sind. Von der Touristen-Falle, die wie ein wandelndes Schreckgespenst heimlich über jedem Urlaub schwebt, sprechen wir noch gar nicht.

Denken Sie an die “Generation Global”: Eine heranwachsende Generation an Kosmopoliten verändert das alte, von Engstirnigkeit geprägte Wertesysteme. Diese Menschen – meist unter 35 Jahren – denken nicht mehr in Kategorien wie nah und fern, das Eigene und Fremde. Sie fühlen sich global zu hause und möchte auch überall so behandelt werden.

Gerade deshalb, weil der Begriff ”Tourismus”, der eine ganze Industrie beschreibt, auch identitätsstiftend auf den „Anwender“ wirkt, müssen wir diesen Begriff abschaffen. Denn wenn niemand ein Tourist sein will, braucht es auch keinen Tourismus. Der Begriff Tourismus hat den Terminus Fremdenverkehr abgelöst. Natürlich stellt sich die Frage: What’s next?

Wer also über den Tourismus der Zukunft nachdenken will, sollte beginnen, das Wort Tourismus zu vermeiden. Aber, so wird man fragen, was dann? Ja, was dann? Aus der Sicht des Trendforschers drängt sich eine Umkehrung auf: Gerade in einer digitalen Welt ist es die menschliche Begegnung, sind es emotionale Erlebnisse, die wieder wichtig werden und den Unterschied machen. Es geht darum, die Lebensqualität der Gäste und des direkten Umfeldes zu verbessern und damit ein tief verwurzeltes menschliches Bedürfnis zu befriedigen – ich spreche von Erholung, Inspiration, vom Bedürfnis, Freunde zu treffen und mit ihnen eine schöne Zeit zu verbringen. Der Touristiker kann so zum “Erinnerungs-Designer” oder zum “Glücksvollzieher” werden. Wo sich der Tourismus längst zur Industrie erklärt hat, braucht es also eine neue Lebensqualitäts-Wirtschaft.

Das Leben der Menschen ist längst zu einem Alltags-Tourismus geworden. “Touristification” nennt das der Philosoph Byung-Chul Han. Und wo der Alltag touristisch – also vom ständigen Verschieben von Ort und Zeit – geprägt ist, sehnt man sich auf Reise an Orte, an denen man ankommt. Da ist.

Zur Person:

Harry Gatterer ist Trend- und Zukunftsforscher. Er ist Geschäftsführer des Zukunftsinstituts mit Sitz in Frankfurt und Wien. Er beschäftigt sich seit über 10 Jahren mit der Zukunft des Tourismus und Hotellerie. Seine Domäne: Die Zukunft von Leben und Arbeit, neue Lebensstile und ihre Wirkung auf Gesellschaft, Unternehmen, Konsum und Freizeit.

Ein Gastkommentar von Harry Gatterer, Zukuftinstitut 

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