Positionspapier zum Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 (GWB-Digitalisierungsgesetz)

München, den 3. November 2020

Einleitung

Der Verband Internetreisevertrieb e.V. (VIR) begrüßt ausdrücklich die Bestrebungen der Bundesregierung, das deutsche Wettbewerbsrecht sinnvoll an das digitale Zeitalter anzupassen. Besonders hervorheben möchten wir den Ansatz, mit dem §19a GWB-RegE eine ex-ante Regel einzuführen.

Der VIR ist der Interessenverband der deutschen Digital-Touristik. Er ist Ansprechpartner für politische Entscheidungsträger, Verbraucherinnen und Verbraucher, die Medien, den Nachwuchs und die Branche selbst zum Thema Online-Touristik. Der VIR steht für Sicherheit im Internet, Vertrauen und Qualitätsstandards. Die Online-Touristik ist der Wachstumstreiber der gesamten Branche. Zweck des vorliegenden Positionspapieres ist es, dem Gesetzgeber aufzuzeigen, welche Erfahrungen die VIR-Mitglieder mit systemischen digitalen Plattformen – im vorliegenden GWB-RegE als Plattformen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb (ÜMB) bezeichnet – gesammelt haben. Es soll verdeutlicht werden, dass striktere Maßstäbe sowie eine ex-ante Regelung im deutschen Wettbewerbsrecht notwendig sind. Nur so lässt sich verhindern, dass systemische Plattformen ihre Marktmacht auf Kosten ihrer Geschäftspartner und der Verbraucher*innen missbrauchen.

Auch auf europäischer Ebene wird eine ex-ante Regelung intensiv diskutiert. Der VIR arbeitet diesbezüglich mit dem europäischen Partnerverband EU Travel Tech (EUTT) zusammen und stimmt mit den Positionen von EUTT überein.

Aus Sicht des VIR ist eine Plattform dann als systemische Plattform einzustufen, wenn die folgenden kumulativen Bedingungen erfüllt sind:

a) Die Plattform fungiert als privater Gatekeeper zu kritischen Online- Diensten für eine überproportional große Anzahl an Verbrauchern*innen.

b) Ihre Aktivitäten sind durch hohe Eintrittsbarrieren geschützt, wie z. B. Größenvorteile, und direkte und indirekte Netzwerkeffekte;

c) Die Plattform verfügt über wettbewerblich besonders bedeutsame immaterielle Vermögenswerte (Daten, Kundenstamm, Technologien usw.) und ist in der Lage, diese auf neuen Märkten einzusetzen und Konkurrenten auszuschließen.

d) Ihre Aktivitäten erstrecken sich über einen bedeutenden Teil des EU Binnenmarktes.

Die Probleme der Reisebranche mit systemischen Plattformen

Die Digitalisierung hat die Art und Weise, wie wir Menschen leben, kommunizieren und Reisen, grundlegend verändert. Die Touristik-Branche setzte sehr früh auf die Chancen der Digitalisierung. Sie nutzte die technischen Möglichkeiten und setzte sie in konkrete Vorteile für die Verbraucher*innen um. Immer wieder bringen Start-ups aus Deutschland neue Ideen und Produkte in die digitale Touristik. Sie fördern den Wettbewerb und bringen Innovationen. Die Digitalisierung hat auch zum Aufstieg digitaler Plattformen beigetragen, die zwischen einer Vielzahl von Unternehmen und Verbrauchern*innen vermitteln – mit positiven Effekten unter anderem für Verbrauchertransparenz und Preiswettbewerb. Dies hat jedoch gleichzeitig eine neue Dynamik und in Fällen der systemischen Plattformen neue Herausforderungen im Wettbewerb hervorgerufen. Geschützt durch hohe Markteintrittsbarrieren (Netzwerkeffekte, Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten usw.) wurden einige wenige Plattformen zu „digitalen Gatekeepern“ für Märkte, Kunden und Informationen. Sie sind damit auch eine Gefahr für die Fairness und Offenheit des europäischen Binnenmarktes. Es gibt Belege dafür, wie einige große Plattformen ihre systemische Rolle nutzen, um ihre Marktmacht kontinuierlich auszubauen und in neue Märkte zu drängen. Sobald ein Markt zu ihren Gunsten gekippt ist (‚tipping‘), wird es für Wettbewerber und Neueinsteiger, insbesondere Start-ups, fast unmöglich, im Wettbewerb zu bestehen. Diese Entwicklung erstickt Innovationen und schadet den Verbrauchern*innen. Der Reisesektor bildet hier keine Ausnahme. Dies soll am Beispiel der allgemeinen Suche bei Google illustriert werden.

  • Google beherrscht die allgemeine Internetsuche – und das seit über 10 Jahren. Seit dieser Zeit konnte keine andere Suchmaschine auch nur annähernd an Googles Stellung herankommen. Bedenkt man die oben beschriebenen hohen Markteintrittsbarrieren, bedeutet dies, dass die Position von Google als systemische Plattform praktisch unbestreitbar ist. Das macht das Unternehmen zum Gatekeeper des durch seine Suchmaschine fließenden Nutzerverkehrs und behindert so den Wettbewerb.
  • Wie die große Mehrheit der Online-Unternehmen sind auch Online-Reisebüros (Online Travel Agencies OTAs) und Metasearcher – selbst solche mit einem hohen Wiedererkennungswert und einer starken Kundenbeziehung – auf die Bewerbung ihrer Dienstleistungen und Angebote auf der Plattform Google angewiesen. In vielen Fällen beginnen die Kunden ihre Reise mit einer Google-Suche. Somit ist Google einerseits erste Anlaufstelle für allgemeine Suchanfragen nach touristischen Angeboten und Anbietern, während gleichzeitig die Google-eigenen vertikalen Suchprodukte (Hotel Finder (Unterkunft), Google Flights (Flüge) und VR Finder (Ferienwohnungen) zum Nachteil der Konkurrenten bevorzugt (prominent) dargestellt sind.

Notwendigkeit einer ex-ante Regelung

Das Wettbewerbsrecht in seiner jetzigen Form kann die oben dargestellte Problematik nicht lösen. Erstens reicht die nachträgliche Durchsetzung nicht immer aus, um gegen wettbewerbswidrige Praktiken von systemischen Plattformen vorzugehen. Wettbewerbsuntersuchungen sind ressourcenintensiv und langwierig und erstrecken sich meist über mehrere Jahre. Infolgedessen kann es sein, dass der Markt bis zum Abschluss einer Untersuchung aufgrund des Verhaltens des untersuchten Unternehmens bereits „gekippt“ ist. So wird es äußerst schwierig, den Wettbewerb wiederherzustellen.

Zweitens sind Wettbewerbsuntersuchungen ad hoc und beschränkt auf den Sachverhalt des besonderen Falls. Die Untersuchung trägt wenig dazu bei, ein ähnliches Verhalten mit ähnlichen Auswirkungen auf anderen Märkten zu verhindern.

Drittens tragen die auferlegten Abhilfemaßnahmen selbst nach Abschluss des Verfahrens wenig dazu bei, den Wettbewerb wiederherzustellen.

Zudem gibt es Umstände, unter denen der Markteintritt kurz- bis mittelfristig nicht möglich ist, weil unüberwindbare Marktzutrittsschranken bestehen. In diesem Fall kann eine Vorabregulierung das einzige verfügbare Instrument sein, um systemische Plattformen vor einem Missbrauch ihrer Marktmacht zu bewahren.

In Anbetracht dessen begrüßt der Verband Internet Reisevertrieb e.V. (VIR) die Initiative zur Modernisierung des deutschen Wettbewerbsrechts und möchte sich aktiv an der Debatte beteiligen.

Im Folgenden möchten wir auf folgende Punkte innerhalb des 19a GWB-RegE genauer eingehen:

(1) Definition und Kriterien

Wir begrüßen ausdrücklich, dass mit dem geplanten §19a eine effektivere Kontrolle für Plattformen mit einer besonderen marktübergreifenden Bedeutung eingeführt werden soll. Die Abgrenzung zu gewöhnlichen marktstarken Unternehmen (§19a Abs. 1) ist aus Sicht des VIR jedoch nicht eindeutig und kann auf mehr Unternehmen zutreffen, als vom Gesetzgeber eigentlich beabsichtigt.

Um rechtliche Unsicherheiten zu vermeiden, sollten die einzelnen Kriterien des § 19a Abs. 1 Satz 2 GWB-RegE noch präzisiert werden. Anhaltspunkt bieten die in der Gesetzesbegründung aufgezählten Kriterien, die beispielsweise auch die Nutzerzahlen beinhalten. Wichtig bei der Feststellung ist aus Sicht des VIR zudem, inwieweit Verbrauchern und anderen Marktteilnehmern Alternativen zur Verfügung stehen und wie hoch der Wechselaufwand ist (analog zu den Kriterien in §18, Abs. 3a). Der kontrollierte Zugang zur einer kritischen Masse von Verbrauchern bedingt eine Abhängigkeit anderer Marktteilnehmer von der systemischen Plattform, sollten keine gangbaren Alternativen bestehen oder in Aussicht sind. Ebenso sollten aus Sicht des VIR nur Unternehmen erfasst werden, deren Aktivitäten sich über einen bedeutenden Teil des EU-Binnenmarktes erstrecken und durch hohe Eintrittsbarrieren geschützt sind. Nur so kann verhindert werden, dass unbeabsichtigt zum Beispiel lokale Akteure erfasst werden.

Aus Sicht des VIR wäre es zudem anzudenken, einzelne Kriterien in Soll- und Kann-Kriterien zu unterteilen. So sollte die marktbeherrschende Stellung auf einem oder mehreren Märkten sowie der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten und eine überproportional große Anzahl an Nutzer*innen zwingende Voraussetzung für eine Feststellung gemäß § 19a Abs. 1 GWB sein.

§ 19a Abs. 1 könnte folgendermaßen lauten:

Das Bundeskartellamt kann durch Verfügung feststellen, dass einem marktbeherrschenden Unternehmen, das in erheblichem Umfang auf Märkten im Sinne des § 18 Absatz 3a tätig ist und in besonders großem Umfang Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten und Nutzer*innen hat, eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Bei der Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung eines Unternehmens für den Wettbewerb sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. Die Fähigkeit seine marktbeherrschende Stellung auf weiteren Märkten wirksam einzusetzen,

2. seine Finanzkraft oder sein Zugang zu sonstigen Ressourcen,

3. seine vertikale Integration und seine Tätigkeit auf in sonstiger Weise miteinander verbundenen Märkten,

4. sein Zugriff auf eine kritische Anzahl von Nutzern auf mindestens einer Seite des Marktes (single-homing),

5. seine Bedeutung auf weiteren räumlichen Märkten innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums,

6. die Bedeutung seiner Tätigkeit für den Zugang Dritter zu Beschaffungs und Absatzmärkten sowie sein damit verbundener Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter.

(2) Beweislastumkehr

Der VIR begrüßt ausdrücklich, die in § 19a Abs. 2 GWB-RegE eingeführte Beweislastumkehr für die sachliche Rechtfertigung eines erfassten Verhaltens. Nur so ist der Anreiz für die Unternehmen gegeben, die erforderlichen Unterlagen fristgerecht einzureichen und die Verfahren nicht hinzuzögern. Nicht nachzuvollziehen ist hingegen ist die Ausnahme für die verbotene Verhaltensweise Nr. 2. Auch hier sollte das Unternehmen darlegen müssen, dass es den Ausbau seiner Marktstellung auf weiteren, noch nicht beherrschten Märkten nicht unlauteren Mitteln wie Kampfpreisstrategien oder wettbewerbswidrigen Exklusivitätsvereinbarungen zu verdanken hat. Der VIR spricht sich dafür aus, die ursprüngliche Formulierung des Referentenentwurfs diesbezüglich beizubehalten.

(3) Schnelle und effiziente Verfahren

Zum Schluss sei noch folgendes angemerkt: Es muss sichergestellt werden, dass eingeleitete Verfahren schnell und effizient ausgestaltet sind. Nur so können sie überhaupt Wirkung erzielen. Dazu muss das Bundeskartellamt mit den notwendigen personellen und monetären Ressourcen ausgestattet werden. Zu überlegen wäre zudem, eine schlanke Berichtspflicht des Bundeskartellamtes gegenüber dem Gesetzgeber zu implementieren. Bei Kartellrechtsverfahren von solch übergreifender Bedeutung sollte der Gesetzgeber regelmäßig informiert werden. Dabei geht es weniger um umfassende Reports als um kurze Mitteilungen zu aktuellen Verfahrensständen. Das schafft Transparenz und ermöglicht rechtzeitiges Nachjustieren.

Wir hoffen, mit unseren Ausführungen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf einen konstruktiven Beitrag zur Diskussion zu leisten.

Mit freundlichen Grüßen,

Michael Buller

Vorstand

Verband Internet Reisevertrieb e.V. (VIR)

Über den VIR:

Der Verband Internet Reisevertrieb e.V. (VIR) repräsentiert die digitale Touristik, die laut FUR-Zahlen von 2019 rund 67 Prozent der Urlaubsreisen ab einer Übernachtung mit vorabgebuchten Leistungen ausmacht. Zu den VIR-Mitgliedern gehören mehr als 90 Unternehmen, die in der digitalen Touristik tätig sind. Sie unterteilen sich in die vier Cluster OTA, Supplier & Tour Operator, Service & Travel Technology sowie Start-up. Der VIR fungiert als Ansprechpartner für Verbraucher, Medien, Politik und die Branche selbst bei sämtlichen Themen rund um die digitale Touristik.

VIR-Mitglieder sind: Acomodeo, adigi, ACCON-RVS, act, AERTicket, Allianz Travel, Amadeus Germany, Amazon Pay, Backpackertrail, Bewotec, Berge & Meer, Bontravo GmbH, BPCS Consulting Services, CamperBoys, DB Vertrieb, DER Touristik, Expedia Group, EC Travel, ERGO Reiseversicherung, Europ Assistance, Evaneos, expipoint, Fair Voyage, FerienDiscounter, FLYLA, Fly Money, For You Travel, FTI Touristik, GIATA, Groupon, Hamburg Tourismus GmbH, HanseMerkur, heymundo, HolidayCheck, HRS, Intent, Invia Group, Involatus Carrier Consulting, journaway, Juvigo, Klarna, LEGOLAND Holidays, List and Ride, mami-poppins, Mamistravelguide, meine-weltkarte.de, Meravando, Midoco GmbH, Motourismo, MYLi, Passolution, PayPal, PCI Proxy, refundrebel, Reise-Rebellen, re:spondelligent, RightNow Group, Sabre, salesforce, schauinsland-reisen, SIX Payment Services, silverscreentours, sleeperoo, Solamento, Sunny Cars, taa travel agency accounting GmbH, ta.ts, team neusta, tennistraveller, traffics, Trasty, travelbasys, Travelport, TripLegend, TRIP*PERFECT, triper one, tripi, TrustYou, TrustYourTrip, TUI, Ucandoo, Unplanned, Urlaubsrente, vawidoo, virtualpro360, Viselio, weg.de, world is a village, Wirecard und Xamine.

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