Stellungnahme anlässlich der öffentlichen Anhörung „Novellierung der EU-Pauschalreiserichtlinie“ im Ausschuss für Tourismus des Deutschen Bundestags
Der VIR begrüßt, dass sich der Tourismusausschuss im Deutschen Bundestag mit der Novellierung der EU-Pauschalreiserichtlinie (PRRL) befasst, die die Online-Touristik-Branche mit großer Sorge betrachtet. Auch wenn der VIR leider nicht als Sachverständiger zur öffentlichen Anhörung eingeladen ist, nehmen wir diese zum Anlass, um erneut Stellung zur Novellierung der PRRL zu beziehen.
Dazu finden Sie im Folgenden eine erneuerte Konsolidierung unserer Positionen auf drei Kernpunkte, auf die wir mit erweiterten Argumenten anlässlich der öffentlichen Anhörung noch einmal einen gesonderten Fokus legen. Zudem verweisen wir erneut auf das Positionspapier zur Novellierung der PPRL des Aktionsbündnis Tourismusvielfalt (ATV), das der VIR gemeinsam mit 26 weiteren Verbänden der Tourismuswirtschaft erstellt hat.
1) Aufnahme von Einzelleistungen führt zu erheblichen Kosten- und Preissteigerungen sowie Verwirrung bei Verbrauchern und Unternehmen
a) Kosten- und Preissteigerungen verhindern
Ergänzend zu den Vorschlägen der EU-Kommission wird in Deutschland darüber diskutiert, ob Einzelreiseleistungen in der PRRL geregelt werden sollten. Wir betonen erneut, dass eine Einbeziehung von Einzelreiseleistungen in den Regelungsrahmen der PRRL nicht zweckdienlich bzw. sogar schädlich ist (im ATV-Positionspapier nachzulesen in Kapitel 4 und Kapitel 7).
Dem VIR als Interessenverband der deutschen Online-Touristik ist es dabei zudem ein zentrales Anliegen erneut klarzustellen, dass die vorgesehene Ausweitung der Pauschalreisehaftung für alle betroffenen Unternehmen einen enormen Aufwand und zusätzliche Kosten bedeutet. Online Travel Agents (OTAs) werden dabei gegenüber klassischen Veranstaltern ausdrücklich nicht bevorzugt. OTAs bieten nicht nur Einzelleistungen an, sondern können auch wie Veranstalter agieren. Klassische Reiseveranstalter, OTA’s, Reisebüros sowie weitere touristische Leistungsträger haben im Rahmen der PRRL folglich exakt die gleichen Verpflichtungen und Herausforderungen.
Wir befürchten insbesondere, dass die Aufnahme von Einzelleistungen in die PRRL vor allem kleine und mittelständische Anbieter von Einzelreiseleistungen dazu zwingen wird, sich aus dem Markt zurück zuzuziehen oder aber ihr Angebot so einzuschränken, dass eine „ungewollte“ Pauschalreise nicht mehr möglich ist, weil sie den administrativen Aufwand und das finanzielle Haftungsrisiko eines Pauschalreiseanbieters nicht stemmen können. Das führt zu weniger Vielfalt am Markt, dem Verlust von Arbeitsplätzen und Infrastruktur insbesondere im ländlichen Raum sowie am Ende des Tages auch zu verminderten Steuereinnahmen.
Zur Illustration der zu erwartenden Kostensteigerungen für Unternehmen reichen wir noch folgende Hochrechnung ein:
Laut der Forschungsgemeinschaft Urlaub + Reisen (FUR) entfallen von 113 Milliarden Euro Gesamtausgaben für Urlaubsreisen im deutschen Markt 55 Milliarden Euro auf Einzelreiseleistungen. Sollten diese nun aufgrund der Einbeziehung in den Regelungsrahmen der PRRL abgesichert werden müssen, müsste ein Aufschlag von ca. 1% für die Insolvenzsicherung sowie ein Aufschlag von ca. 1% für die Risikoabsicherung für die Betreuung beispielsweise im Falle eines Unfalls des Verbrauchers oder bei außergewöhnlichen Umständen am Ziel-, Abreise und Wohnort zusätzlich eingepreist werden. Bei insgesamt 55 Milliarden Euro für Einzelreiseleistungen, würde das einen Kostenanstieg von rund 1,1 Milliarden Euro für Unternehmen verursachen, der letztlich auch die Verbraucher treffen wird.
b) Klarheit für Verbraucher und Unternehmen schaffen
Laut des Entwurfs der Europäischen Kommission zur Novellierung der PRRL können Reiseanbieter zu Pauschalreiseveranstaltern werden, wenn Verbraucher innerhalb von drei Stunden nach Kauf einer ersten Reiseleistung eine zweite Reiseleistung in einer einzigen Vertriebsstelle kaufen („3-Stunden-Reglung“). Dies führt in der Praxis zu erheblichen Problemen (im ATV-Positionspapier nachzulesen in Kapitel 4). Insbesondere die Störung der Abfolge des Buchungsprozesses führt zu Frustration sowohl bei Verbrauchern als auch Veranstaltern und soll daher hier noch einmal exemplarisch hervorgehoben werden:
i. Der ursprüngliche vom Verbraucher eingesehene Preis der Einzelleistungen kann nicht mehr gelten, denn der Anbieter muss nun Kalkulationen für Insolvenzabsicherung und auch weitere Kosten für die Dienstleistungen einer Pauschalreise kalkulatorisch hinzufügen.
ii. Die AGBs, die bisher reine Vermittlung waren, müssen rückwirkend auch für den Kauf der ersten Leistung in AGBs eines Veranstalters geändert werden.
iii. Die Anzahlung nach der geplanten Überarbeitung der PRRL darf nur bei 25% liegen. Sollte nun die erste Leistung zu 100% inkassiert sein, wird es in den meisten Fällen nun dazu kommen, dass dem Verbraucher Geld zurückbezahlt werden müsste, weil die erste Zahlung bereits die 25% übersteigen wird.
iv. Die Stornobedingungen, die für die Einzelleistungen bisher für den Verbraucher galten, müssen nun vereinheitlicht werden.
v. Da all diese Punkte eigentlich vor einer Preisdarstellung passieren müssten, damit der Verbraucher dann auch den richtigen Preis sieht, müssten nun sämtliche Abfragen bei Einzelleistungen von Verbrauchern neu geprüft werden. Dies würde einen erheblichen Mehraufwand für Verbraucher und Unternehmen bedeuten.
Statt Definitionen zu vereinfachen, hat die Europäische Kommission diese in ihrem Entwurf zur Überarbeitung der PRRL zudem an vielen Stellen verkompliziert und damit Unklarheiten im Buchungsprozess geschaffen. Hinsichtlich der neuen Pauschalreisedefinition sollte die Europäische Kommission zudem die „24-Stunden-Regel“ streichen, innerhalb dessen verbundene Reiseleistungen gemäß Artikel 3 (2) als Pauschalreisen gelten. Denn die Ausweitung dieser Definition wirft eine Reihe von Problemen in der Umsetzung auf, wie beispielsweise, dass die Pauschalreiseveranstalter das Such- und Kaufverhalten der Verbraucher bis zu 24 Stunden lang nach-verfolgen müssten – ein nicht zuletzt auch aus datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten problematischer Vorgang.
Die aufgezeigten Punkte verdeutlichen, dass die geplante Novellierung der PRRL zu großer Verwirrung bei Verbrauchern und Unternehmen führen würde. Zudem würden insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen erhebliche bis existenzbedrohende Herausforderungen in der Verwaltung des Buchungsprozesses auferlegt. Denn beispielsweise jeder noch so kleine Campingplatzanbieter müsste nach den geplanten Änderungen der Europäischen Kommission zukünftig prüfen, ob er bei einer Buchung unter die novellierte PRRL fällt. Erschwerend hinzu kommt, dass weder Studien noch verbraucherseitige Beschwerden zu Problemen mit der bisherigen Regelung zu Einzelreiseleistungen vorliegen. Das bedeutet, dass die Europäische Kommission durch die geplante Novellierung der PRRL erhebliche Probleme für Unternehmen und Verbraucher ohne einen ersichtlichen Regulierungsbedarf schafft.
Kernbotschaft: Die bisherigen Regelungen zu Einzelreiseleistungen haben sich in der Praxis bewährt und sollten daher beibehalten werden.
2) Einführung obligatorischer Gutscheine im ersten Jahr, um Insolvenzen zu verhindern
Um im Falle von erneuten Krisen wie der Corona-Pandemie große Insolvenzwellen zu vermeiden, schlägt der Entwurf zur Novellierung der PRRL freiwillige Gutscheine als Alternative zu Rückzahlungen vor. Der VIR hat bereits während der Pandemie kritisiert, dass es für einen solchen freiwilligen Gutschein keiner gesetzlichen Regelung bedarf, denn diese können auch jetzt bereits zwischen Veranstalter und Kunden vereinbart werden.
Für die Unternehmen bedeuten freiwillige Gutscheine einen hohen Unsicherheitsfaktor, da diese zur Gänze auf das Wohlwollen und die Akzeptanz der Reisenden angewiesen sind. Insbesondere im ersten Jahr würden insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen stark gefährdet werden. Hatten wir zunächst grundsätzlich die Einführung von obligatorischen Gutscheinen gefordert (im ATV-Positionspapier nachzulesen in Kapitel 1), haben wir als VIR jetzt auch nach weiteren Gesprächen mit Verbraucherschützern einen Kompromissvorschlag, um Insolvenzen abzuwehren:
Kernbotschaft: Im ersten Jahr sollte dem Reiseveranstalter das Recht eingeräumt werden, obligatorische Gutscheine zur Verfügung zu stellen. Diese werden um 2% verzinst, um das Kundengeld in dieser Zeit abzusichern.
3) Vorauszahlungsbegrenzungen gefährden das Pauschalreiseprodukt
Der VIR versteht, dass Verbraucher vor unangemessen hohen Vorauszahlungen geschützt werden sollen. Allerdings erscheint dies angesichts der ohnedies hohen Absicherung von Kundengeldern und dem hohen Niveau an Verbraucherschutz, das eine Pauschalreise auch schon heute bietet, nicht notwendig. Deutschland hat darüber hinaus zu Anzahlungen eine klare Rechtsprechung und deswegen sehen wir keine Notwendigkeit diese in die PRRL mit aufzunehmen (im ATV-Positionspapier nachzulesen in Kapitel 3).
Wir möchten an dieser Stelle zudem betonen, dass das gesamte touristische Ökosystem in hohem Maße von der Verfügbarkeit von Betriebskapital abhängt, um die Kosten zu decken. Jeder Versuch, Vorauszahlungen in einem Teil des Ökosystems zu begrenzen, wird erhebliche finanzielle Belastungen für Unternehmen nach sich ziehen. Dies würde wiederum am Ende des Tages auch zu erheblichen Preissteigerungen für Verbraucher führen. Die dann durch erhöhte Preise schwindende Attraktivität von Pauschalreisen könnte im Ergebnis Verbraucher dazu veranlassen, ihre Reiseleistungen als Einzelleistungen zu buchen und ganz auf den Schutz von Pauschalreisen zu verzichten.
Der Fokus der Regulierer sollte sich dagegen auf die Flugkomponente des Reisepakets fokussieren, da diese das größte Risiko für die Verbraucher birgt. Weder in der Novellierung der PRRL noch in der von der Europäischen Kommission überarbeiteten Verordnung über Fluggastrechte sind Schutzmaßnahmen im Falle der Insolvenz von Fluggesellschaften vorgesehen. Im Gegensatz dazu sind nach der PRRL die Pauschalreiseveranstalter für die Erfüllung des Pauschalreisevertrags verantwortlich, unabhängig davon, ob diese Leistungen vom Beförderungsunternehmen erbracht werden können oder nicht. Dies führt nicht nur zu einem ungleichen Schutz für verschiedene Kategorien von Reisenden (Pauschalreisende gegenüber Reisenden, die ihr Flugticket als Einzelleistung kaufen), sondern stellt auch die Reiseveranstalter vor große Herausforderungen.
Kernbotschaft: Die Anzahlungsmodalitäten sind nicht gesetzlich zu regeln. Dafür sollte ein EU- /EWR-weites einheitliches obligatorisches Insolvenzschutzsystem für Fluggesellschaften bei der Überarbeitung der Verordnung über Fluggastrechte eingeführt werden, um die Vorauszahlungen der Verbraucher zu schützen.
Unsere Stellungnahme liegt hier zum Download als PDF vor.
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