Brandbrief des Aktionsbündnis Tourismusvielfalt zur Konzeptlosigkeit der Bundesregierung

Schreiben an die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung, zur Kenntnisnahme an die Bundesländer:

Am vergangenen Freitag ist in erster Lesung das 4. Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite in den Bundestag eingebracht worden. Dieses soll bereits in dieser Woche von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden.

Das Gesetz sieht für touristische Übernachtungen vor, dass diese ab einem Inzidenzwert von über 100 für drei Tage in Folge ausnahmslos verboten werden. Mithin wird der bereits seit fünf Monaten andauernde Zustand, das kategorische Verbot touristischer Reisen im Inland, weiter festgeschrieben.

Ein Öffnungskonzept bzw. jegliche Perspektive werden nicht angeboten. Damit werden die vielen Tausend Betriebe in der Tourismuswirtschaft eklatant schlechter gestellt als Einzelhandel, produzierendes Gewerbe, Dienstleistungen, Handwerk – ja, selbst als die Gastronomie, der wenigstens Öffnungen im Außenbereich in Aussicht gestellt werden. Für den Großteil der touristischen Betriebe gibt es aktuell nur eine Antwort: Schließung – keine Teststrategie und keine Öffnung unter Hygieneauflagen. Nur die Schließung.

Dabei wird in Kauf genommen, dass Tausende von Betrieben nunmehr seit (mindestens) fünf Monaten keinerlei Umsätze erzielen dürfen. Und es werden weitere Wochen hinzukommen, angesichts der weiter steigenden Infektionszahlen.

Es wird toleriert, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich teils seit zwölf Monaten in Kurzarbeit befinden – ohne Perspektive. Nicht umsonst hat bereits eine Abwanderung von Fachkräften begonnen, die die Tourismusbranche vor weitere große Probleme stellen wird.

Es wird in Kauf genommen, dass massenhaft kleine und mittelständische touristische Betriebe sterben, und sich die Tourismuslandschaft in Deutschland nachhaltig verändern wird – und zwar nicht zu ihrem Vorteil.

Sehr geehrte Frau Merkel, sehr geehrte Damen und Herren Minister: Wir als Vertreter der Tourismusbranche haben Verständnis für die schwierige Situation angesichts steigender Zahlen und gefährlicher Varianten von COVID-19. Wir haben investiert, um Urlaub Corona-sicher zu gestalten. Wir haben den ersten und selbst den zweiten Lockdown bereitwillig mitgetragen, auch wenn die Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Verbots touristischer Reisen gestiegen sind. Wir sehen uns nach fünf Monaten umfassenden Verbots touristischer Reisen dennoch steigenden Zahlen gegenüber. Wir können davon ausgehen, dass Reisen nicht dazu beigetragen haben kann, angesichts dessen, dass der in- und ausländische Reiseverkehr weitgehend unterbunden ist.

Bitte erklären Sie uns, weshalb Unternehmern und Arbeitnehmern in der Automobilindustrie, bei einer Versicherungsgesellschaft oder in einem Friseursalon das Vertrauen entgegengebracht wird, dass diese sich schon verantwortlich verhalten werden, derweil man das den Mitarbeitern in unseren Betrieben abspricht?

Bitte erklären Sie uns, warum in diesen und vielen anderen Branchen Tests nicht einmal verpflichtend sind, aber unserer Branche nicht einmal die Möglichkeit einräumt, mit negativer Testung zu öffnen?

Bitte erklären Sie uns, warum beim Friseur oder im Kosmetiksalon Kunden bei unmittelbarem und längerem Kontakt und in einem Innenraum selbst nach Eintreten der Notbremse empfangen werden dürfen (im Falle des Kosmetiksalons sogar ohne Maske), derweil unsere Betriebe ihre Gäste nicht beherbergen dürfen – und zwar nicht einmal dann, wenn Anreise, Aufenthalt und Abreise kontaktarm erfolgen?

Bitte erklären Sie uns, warum ein Blumenladen oder Tabakladen als essentiell gilt, derweil der Erholungsurlaub seit Monaten nicht nur als entbehrlich bezeichnet wird, sondern sogar explizit davon abgeraten wird? Und das vor dem Hintergrund, dass selbst das Robert-Koch-Institut in Veröffentlichungen belegt hat, dass organisierte Reisen, Hotelaufenthalte und Flugreisen nicht zum Pandemiegeschehen beitrage?Nach Artikel 24 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist das „Recht auf Erholung und Freizeit und insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmäßigen bezahlten Urlaub “ ein elementares Menschenrecht. Pausen sind das älteste Mittel gegen Erschöpfung bei andauernden anstrengenden Tätigkeiten. Warum werden Reisen jedoch seit Monaten als entbehrlich abgeschrieben?

Wir können auch nicht nachvollziehen, warum die Gastronomie und vor allem die Außengastronomie geschlossen bleiben, und die Menschen somit noch mehr in den unkontrollierbaren privaten Bereich gedrängt werden – also just dorthin, wo ein Großteil der Infektionen der vergangenen fünf Monate entstanden sind?

Die Gastronomie ist ein geregelter, strukturierter Raum. Es gelten dort Abstands- und Hygieneregeln, die auch durchgesetzt werden. Wenn sich Menschen dort treffen, greift die soziale Kontrolle. Es gibt Mitarbeitende und andere Gäste, die darauf achten, dass die Regeln eingehalten werden. Das alles ist im privaten Bereich nicht der Fall. Bitte erklären Sie uns daher, warum dennoch an den Verboten festgehalten wird, anstatt strukturierte Räume zu öffnen und zumindest einen Teil der Kontakte dorthin zu lenken?

Es ist die politische Inkonsequenz und Inkonsistenz, die uns zu diesem Schreiben veranlasst. Unserer Branche wird ein beispielloses Opfer abverlangt, das aufgrund der Inkonsequenz in vielen anderen Bereichen aber wert- und wirkungslos bleibt. So viele Existenzen werden gefährdet, ohne dass sich das Opfer auszahlt.

Wir sehen die Sommersaison als letzten Rettungsanker vor allem für den Deutschlandtourismus massiv bedroht. Die Regierung hat in keiner Weise erkennen lassen, dass sie ein Konzept für die Wiedereröffnung und die Rettung der Tourismusbranche in Deutschland hat. Die touristischen Unternehmen leben von der Hochsaison von Juni bis September. Die in diesen Monaten entstehenden Gewinne sind elementar für die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen. Viele Betriebe werden die kommenden Wochen aber schlichtweg nicht überstehen.

Das Beispiel Osterurlaub auf Mallorca hat deutlich gezeigt, dass Reisen unter Sicherheitsauflagen wie verpflichtenden Tests sicher möglich und kein Pandemietreiber sind. Die Betriebe im Inland haben nicht minder gute Hygienekonzepte und Schutzmaßnahmen wie Betriebe im Ausland. Wir haben im vergangenen Sommer bereits bewiesen, dass diese funktionieren – selbst an touristischen Hotspots. Und die Urlauber haben unter Beweis gestellt, wie verantwortungsvoll sie agieren!

Daher fordern wir die Öffnung zunächst kontaktarmer Beherbergungsformen und der Außengastronomie, die Zusammenarbeit mit der Touristik über ein Öffnungskonzept der Branche sowie die Nutzung des Tourismus, um Menschen in strukturierte Bereiche zu bringen.

Wir sind hierzu jederzeit gesprächsbereit und bitten Sie, unsere Expertise zur Besprechung konkreter Maßnahmen und deren Umsetzung in Anspruch zu nehmen.

Stellvertretend für die Vertreter des Aktionsbündnisses Tourismusvielfalt: 

Petra Thomas 

Geschäftsführerin 

forum anders reisen e.V. – der Verband für nachhaltigen Tourismus 

Michael Buller 

Vorstand 

Verband Internet Reisevertrieb e.V. (VIR)

Lesen Sie mehr News

Wir informieren Sie über aktuelle Themen von und für die Touristik.

Alle Beiträge finden Sie in unserem News-Bereich aufgelistet. Oder wählen Sie aus unseren News-Kategorien einen Themenbereich und lesen Sie nur die jeweiligen Themenbeiträge.