Einreichung zum Hauptgutachten der Monopolkommission zum Thema Wettbewerb 2020

Stellungnahme zum XXIII. Hauptgutachten der Monopolkommission „Wettbewerb 2020“

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Möglichkeit zum vorliegenden Hauptgutachten der Monopolkommission Stellung zu nehmen. Im Folgenden werden wir uns auf den Punkt der Missbrauchsaufsicht in der Plattformwirtschaft des Gutachtens konzentrieren.

Der VIR ist der Interessenverband der deutschen Digital-Touristik. Er ist Ansprechpartner für Verbraucherinnen und Verbraucher, politische Entscheidungsträger, die Medien, den Nachwuchs und die Branche selbst zum Thema Online-Touristik. Der VIR steht für Sicherheit im Internet, Vertrauen und Qualitätsstandards. Die Online-Touristik ist der Wachstumstreiber der gesamten Branche.

Missbrauchsaufsicht in der Plattformwirtschaft

1.1 Problembeschreibung

Die Digitalisierung hat die Art und Weise, wie wir Menschen leben, kommunizieren und Reisen, grundlegend verändert. Die Touristik-Branche setzte sehr früh auf die Chancen der Digitalisierung. Sie nutzte die technischen Möglichkeiten und setzte sie in konkrete Vorteile für die Verbraucher*innen um. Immer wieder bringen Startups aus Deutschland neue Ideen und Produkte in die digitale Touristik. Sie fördern den Wettbewerb und bringen Innovationen. Die Digitalisierung hat auch zum Aufstieg digitaler Plattformen beigetragen, die zwischen einer Vielzahl von Unternehmen und Verbrauchern*innen vermitteln – mit positiven Effekten unter anderem für Verbrauchertransparenz und Preiswettbewerb. Dies hat jedoch gleichzeitig eine neue Dynamik und in Fällen der systemischen Plattformen neue Herausforderungen im Wettbewerb hervorgerufen. Geschützt durch hohe Markteintrittsbarrieren (Netzwerkeffekte, Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten usw.) wurden einige wenige Plattformen zu „digitalen Gatekeepern“ für Märkte, Kunden und Informationen. Sie sind damit auch eine Gefahr für die Fairness und Offenheit des europäischen Binnenmarktes.

Es gibt Belege dafür, wie einige große Plattformen ihre systemische Rolle nutzen, um ihre Marktmacht kontinuierlich auszubauen und in neue Märkte zu drängen.

Sobald ein Markt zu ihren Gunsten gekippt ist (‚tipping‘), wird es für Wettbewerber und Neueinsteiger, insbesondere Start-ups, fast unmöglich, im Wettbewerb zu bestehen. Diese Entwicklung erstickt Innovationen und schadet den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Dies zeigt sich auch in den bereits erfolgten Geldbußen und Klagen gegen solche „Gatekeeper“. Bereits 2017 hat die EUKommission eine Geldbuße in Höhe von 2,42 Milliarden gegenüber Google verhängt (1). Nach Ansicht der EU-Kommission hat Google in diesem Falle seine Marktmacht missbraucht, um seinem Preisvergleichsdienst unrechtmäßige Vorteile zu verschaffen. Neben der EU-Kommission hat nun auch das US Justizministerium erkannt, dass solch eine Marktmacht Innovationen verhindert und entsprechend im Oktober diesen Jahres Klage gegen Google eingereicht (2).

Der Reisesektor bildet hier keine Ausnahme. Dies soll am Beispiel Google illustriert werden.

Mitte November 2020 haben 135 Unternehmen und 30 Industrieverbände – darunter der VIR – einen offenen Brief3 an die Exekutiv-Vizepräsidentin und Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager geschrieben. Die Vorwürfe wiegen schwer:

  • Google missbraucht seine unangreifbare Position auf dem Markt der allgemeinen Internetsuche als Hebel, um in andere Märkte vorzudringen. Google sammelt Daten und Inhalte, die für den Wettbewerb auf diesen Märkten relevant sind. So erreicht das Unternehmen im Handumdrehen eine starke Position und Reichweite.
  • Durch die Begünstigung der eigenen Dienste verschafft sich Google ungerechtfertigte Vorteile. Wie die große Mehrheit der Online- Unternehmen sind auch Online-Reisebüros (Online Travel Agencies OTAs) und Metasearcher – selbst solche mit einem hohen Wiedererkennungswert und einer starken Kundenbeziehung – auf die Bewerbung ihrer Dienstleistungen und Angebote auf der Plattform Google angewiesen. In vielen Fällen beginnen die Kunden ihre Reise mit einer Google-Suche. Somit ist Google einerseits erste Anlaufstelle für allgemeine Suchanfragen nach touristischen Angeboten und Anbietern, während gleichzeitig die Google-eigenen vertikalen Suchprodukte (Hotel Finder (Unterkunft), Google Flights (Flüge) und VR Finder (Ferienwohnungen) zum Nachteil der Konkurrenten bevorzugt (prominent) dargestellt sind.

Gerade das Beispiel Google zeigt, an welche Grenzen das derzeitige Wettbewerbsrecht im Hinblick auf digitale Ökosysteme stößt.

1.2 Notwendigkeit einer ex-ante Regelung (4)

Das Wettbewerbsrecht in seiner jetzigen Form kann die oben dargestellten Probleme nicht lösen.

Erstens reicht die nachträgliche Durchsetzung nicht immer aus, um gegen wettbewerbswidrige Praktiken von systemischen Plattformen vorzugehen. Wettbewerbsuntersuchungen sind ressourcenintensiv und langwierig und erstrecken sich meist über mehrere Jahre. Infolgedessen kann es sein, dass der Markt bis zum Abschluss einer Untersuchung aufgrund des Verhaltens des untersuchten Unternehmens bereits „gekippt“ ist. So wird es äußerst schwierig, den Wettbewerb wiederherzustellen.

Zweitens sind Wettbewerbsuntersuchungen ad hoc und beschränkt auf den Sachverhalt des besonderen Falls. Die Untersuchung trägt wenig dazu bei, ein ähnliches Verhalten mit ähnlichen Auswirkungen auf anderen Märkten zu verhindern.

Drittens tragen die auferlegten Abhilfemaßnahmen selbst nach Abschluss des Verfahrens wenig dazu bei, den Wettbewerb wiederherzustellen.

Zudem gibt es Umstände, unter denen der Markteintritt kurz- bis mittelfristig nicht möglich ist, weil unüberwindbare Marktzutrittsschranken bestehen. In diesem Fall kann eine Vorabregulierung das einzige verfügbare Instrument sein, um systemische Plattformen vor einem Missbrauch ihrer Marktmacht zu bewahren.

Eine Ex-ante-Regelung könnte diese bestehende Lücke beseitigen und sicherstellen, dass die Märkte im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher fair und wettbewerbsfähig bleiben.

Mit der vorgeschlagenen neuen Missbrauchsregelung für Unternehmen mit „überragender marktübergreifender Bedeutung“ im GWB-Digitalisierungsgesetz präsentiert die Bundesregierung einen Regelungsvorschlag. Dies begrüßen wir ausdrücklich. Denn das Beispiel Google zeigt, wie systemische Plattformen ihre marktbeherrschende Stellung in einem Markt nutzen, um in andere Märkte vorzudringen und wettbewerbsschädliche Strukturen aufzubauen. Wichtig bei der Feststellung ist – und davon gehen wir auch in der genannten Regelung aus – dass eine Marktbeherrschung auf mindestens einem Markt vorliegen muss.

Da die Wettbewerbsthematik ein europäisches Problem ist, die auch einer europäischen Lösung bedarf, arbeitet der VIR diesbezüglich mit dem europäischen Partnerverband EU Travel Tech (EUTT) zusammen und stimmt mit den Positionen von EUTT überein. Aus Sicht des VIRs und EUTT sollten eine mögliche Regulierung nur diejenigen Plattformen einbeziehen, deren systemische Rolle in der digitalen Wirtschaft so beschaffen ist, dass ihr Verhalten die Fairness und Offenheit der EU-Märkte bedroht, ohne anderen Marktteilnehmern unnötige regulatorische Belastungen aufzuerlegen.

Eine Plattform ist dann als systemische Plattform einzustufen, wenn die folgenden kumulativen Bedingungen erfüllt sind:

a) Ihre Aktivitäten erstrecken sich über einen bedeutenden Teil des EU Binnenmarktes und sind durch hohe Eintrittsbarrieren geschützt, wie z.B. Größenvorteile, und direkte und indirekte Netzwerkeffekte;

b) Die Plattform fungiert als privater Gatekeeper zu kritischen Online-Diensten für eine überproportional große Anzahl an Verbrauchern*innen.

c) Die Plattform ist in der Lage, ihre einzigartigen Assets (Daten, Kundenstamm, technologische Vermögenswerte usw.) auf neuen Märkten einzusetzen und Konkurrenten auszuschließen.

Diesen systemischen Plattformen müssen bestimmte Verhaltensweisen verboten werden, die besonders schädlich für den Wettbewerb sind. Dazu könnten unter anderem zählen:

1. die Selbstbevorzugung eigener Produkte,

2. die Fähigkeit Daten produkt- und dienstleistungsübergreifend zu kombinieren und zu nutzen (Datenentbündelung),

3. Maßnahmen, die Multi-Homing behindern, wie z.B. die Reduzierung der Portabilität von Benutzerdaten.

Wir hoffen, mit unseren Ausführungen einen konstruktiven Beitrag zur Diskussion zu leisten. Als Verband der digitalen Touristik stehen wir jederzeit mit unserer Expertise für den weiteren fachlichen Austausch zur Verfügung.

Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen

Michael Buller

Vorstand

Verband Internet Reisevertrieb e.V. (VIR)

  • zu (1): https://ec.europa.eu/germany/news/eu-kommission-verh%C3%A4ngt-geldbu%C3%9Fevon-242-milliarden-euro-gegen-google_de
  • zu (2): https://www.tagesschau.de/wirtschaft/us-klage-gegen-google-101.html
  • zu (3): Gemeinsamer Brief von Online-Intermediären an Exekutiv-Vizepräsidentin & Kommissarin für Wettbewerb Margrethe Vestager, https://v-i-r.de/2020/11/12/brief-gegen-selbstbeguenstigung-google/, Abruf: 18. November 2020.
  • zu (4): Vgl. Stellungnahme VIR zu zum Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 (GWBDigitalisierungsgesetz)

Über den VIR:

Der Verband Internet Reisevertrieb e.V. (VIR) repräsentiert die digitale Touristik, die laut FUR-Zahlen von 2019 rund 67 Prozent der Urlaubsreisen ab einer Übernachtung mit vorabgebuchten Leistungen ausmacht. Zu den VIR-Mitgliedern gehören mehr als 90 Unternehmen, die in der digitalen Touristik tätig sind. Sie unterteilen sich in die vier Cluster OTA, Supplier & Tour Operator, Service & Travel Technology sowie Start-up. Der VIR fungiert als Ansprechpartner für Verbraucher, Medien, Politik und die Branche selbst bei sämtlichen Themen rund um die digitale Touristik.

VIR-Mitglieder sind: Acomodeo, adigi, ACCON-RVS, act, AERTicket, Allianz Travel, Amadeus Germany, Amazon Pay, Backpackertrail, Bewotec, Berge & Meer, Bontravo GmbH, BPCS Consulting Services, CamperBoys, Concardis, DB Vertrieb, DER Touristik, Expedia Group, EC Travel, ERGO Reiseversicherung, Europ Assistance, Evaneos, expipoint, Fair Voyage, FerienDiscounter, FLYLA, Fly Money, For You Travel, FTI Touristik, GIATA, Groupon, Hamburg Tourismus GmbH, HanseMerkur, heymundo, HolidayCheck, HRS, Intent, Invia Group, Involatus Carrier Consulting, journaway, Juvigo, Klarna, LEGOLAND Holidays, List and Ride, mami-poppins, Mamistravelguide, meine-weltkarte.de, Meravando, Midnight Deal, Midoco GmbH, Motourismo, MYLi, Passolution, PayPal, PCI Proxy, refundrebel, Reise-Rebellen, re:spondelligent, RightNow Group, Sabre, salesforce, schauinsland-reisen, SIX Payment Services, silverscreentours, sleeperoo, Solamento, Sunny Cars, taa travel agency accounting GmbH, ta.ts, team neusta, tennistraveller, traffics, Trasty, travelbasys, Travelport, TripLegend, TRIP*PERFECT, triper one, tripi, TrustYou, TrustYourTrip, TUI, Ucandoo, Unplanned, Urlaubsrente, vawidoo, virtualpro360, Viselio, weg.de, Wirelane, world is a village und Xamine.

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