Gemeinsame Stellungnahme des DFV, ASR und VIR zur 11. GWB-Novelle
Stellungnahme des ASR, DFV und VIR zum Referentenentwurf zur 11. GWB-Novelle:
Der vorliegende Referentenentwurf erfüllt den Deutschen Ferienhausverband e. V. (DFV), Allianz Selbständiger Reiseunternehmen – Bundesverband e. V. (asr), und Verband Internet Reisevertrieb e.V. (VIR) mit großer Sorge. Dieser bedeutet einen wettbewerbspolitischen Paradigmenwechsel in Deutschland. Das Bundeskartellamt soll zukünftig auch ohne erwiesenen Kartellrechtsverstoß weitreichend in Märkte und Rechte von Unternehmen eingreifen können, ohne dass vom Gesetzgeber ausreichend klar definiert worden wäre, wann eine sogenannte erhebliche Wettbewerbsstörung vorliegt. Die Bemessung der Erheblichkeitsschwelle obliegt allein dem Bundeskartellamt. Damit würde große Rechtsunsicherheit geschaffen und dem Wirtschaftsstandort Deutschland Schaden zugefügt.
Es bedarf vielmehr eines klaren und verlässlichen rechtlichen Rahmens, in dem Unternehmen in Deutschland gesetzeskonform agieren können. Nur so sind Planungs- und Investitionssicherheit für die Unternehmen zu gewährleisten.
Folgende Punkte werden kritisiert:
A. Der Gesetzentwurf bewirkt einen Paradigmenwechsel ohne nachgewiesene oder erkennbare Notwendigkeit.
1. § 32f Abs. 3-5 RefE bewirkt einen wettbewerbspolitischen Paradigmenwechsel in Deutschland. Das Bundeskartellamt soll zukünftig in Märkte und in die Rechte von Unternehmen eingreifen können, ohne dass diese Unternehmen in irgendeiner Form einen Kartellrechtsverstoß begangen haben. Das bisherige Gesetz „gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ wird damit um eine Pflicht zum Wettbewerb erweitert. Dies hat mit einem ordnungspolitisch ausgewogenem Rechtsrahmen nichts mehr zu tun. Nicht mehr die Beschränkung des Wettbewerbs, sondern bereits das bloße Fehlen von Wettbewerb soll kartellbehördliche Eingriffe rechtfertigen.
2. Der Referentenentwurf postuliert Regelungslücken die es faktisch nicht gibt.
- Internes Unternehmenswachstum ist Ausdruck eines erfolgreich geführten Leistungswettbewerbs und bisher Grundgedanke des bisherigen Wettbewerbsrecht. Eine Entflechtung von Unternehmen trotz rechtskonformen Verhaltens zu ermöglichen, nimmt dem Wettbewerbsgedanken seine essenzielle Anreizfunktion.
- Die „stillschweigende Kollusion“ ist ein Marktverhalten, das unterhalb der Abstimmungsschwelle nach ständiger Entscheidungspraxis, der im Einklang mit dem kartellrechtlichen Selbstständigkeitspostulat steht. Unternehmen sind frei darin, „sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Mitbewerber mit wachem Sinn anzupassen.“ Verboten ist nur die Beschränkung des Wettbewerbs.Warum dies jetzt geändert werden soll entbehrt einer nachvollziehbaren Begründung.
- Die vorgeschlagenen Änderungen sind überflüssig, denn das geltende Kartellrecht stellt bereits ausreichende Werkzeuge zur Kontrolle von Marktmacht bereit, sowie die Änderungen, die durch die Novellierung der GWB10 eingeführt wurden sowie den Digital Markets Act auf europäischer Ebene.
- Deutschland weist keine gefährlichen Unternehmenskonzentrationen auf. Dies zeigen die jährlichen Berichte der Monopolkommission. Der Anteil der 100 größten Unternehmen an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung schrumpft seit mehreren Jahrzehnten und lag 2020 bei nur noch 14 %.1 Deutschland benötigt daher kein Kartellrecht, das ohne jeden Blick auf Kollateralschäden2 gegen gefährliche Unternehmenskonzentrationen vorgeht.
B. Der Gesetzentwurf ermächtigt das Bundeskartellamt, eine Exekutivbehörde, zum „Marktdesign“.
3. Demokratie und Wettbewerb sind zwei grundlegende Prinzipien des gesellschaftlichen Miteinander in Deutschland. Beide leben von der Freiheit des demokratischen bzw. wettbewerblichen Prozesses. Beide werden konterkariert, wenn sich einzelne Institutionen das Wissen anmaßen, „gute Ergebnisse“ des demokratischen bzw. wettbewerblichen Prozesses vorherzusagen und festzulegen. § 32f Abs. 3-5 RefE liegt eine solche Anmaßung von Wissen zugrunde. In Situationen, in denen kein vollständiges Marktversagen vorliegt, wird die Findung „guter“ Wettbewerbsergebnisse nicht mehr dem Markt überlassen, sondern den regulierungsähnlichen Eingriffen einer Behörde. Der Staat tritt als „besserer Unternehmer“ auf. Er erhält die Befugnis, den Markt so zu designen, wie es seinen Vorstellungen entspricht. Mit Wettbewerbsfreiheit hat dies nichts mehr zu tun.
Der Gesetzentwurf bezeichnet sich als Gesetz zur Verbesserung der „Wettbewerbsstrukturen.“ Die Eingriffsbefugnisse werden als „strukturorientierte Instrumente“ tituliert. Im Widerspruch dazu gewährt § 32f Abs. 3 RefE die Eingriffsbefugnisse aber unabhängig davon, ob ein strukturelles Wettbewerbsdefizit vorliegt. Die Norm setzt allein voraus, dass eine „erhebliche, andauernde oder wiederholte Störung des Wettbewerbs“ vorliegt. Eingriffe sind daher nicht nur bei „strukturellen Störungen“ oder bei „Störungen der Wettbewerbsstruktur“, sondern unabhängig davon auch bei bloßen verhaltensbedingten Wettbewerbsstörungen zulässig. Anders formuliert: Mit Eingriffsmaßnahmen muss zukünftig auch derjenige rechnen, der sich auf einem Markt mit intakten Wettbewerbsstrukturen vollständig kartellrechtskonform verhält, in den Augen der Kartellbehörde aber nicht genug dafür tut, dass ein lebhafter Wettbewerb stattfindet. Mit einem Gesetz „gegen Beschränkungen des Wettbewerbs“ hat dies nichts mehr zu tun.
4. § 32f Abs. 3-5 RefE mutiert zur Generalklausel. Die Norm kennt außer der „erheblichen, andauernden oder wiederholten Störung des Wettbewerbs“ und dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keine weiteren gesetzlichen Voraussetzungen für schwerwiegende Eingriffe wie einen Zugangs- oder Lieferzwang, Vorgaben zur Vertragsgestaltung oder eine Entflechtung. Aus Sicht der Kartellbehörde mag eine solche Generalklausel größtmögliche Flexibilität mit sich bringen. Aus Sicht der betroffenen, sich kartellrechtskonform verhaltenden (!) Unternehmen bedeutet es vor allem Rechtsunsicherheit. Mangels gesetzlicher Begrenzung hängt alles davon ab, dass die Kartellbehörde die Eingriffsbefugnisse des § 32f RefE zurückhaltend anwendet.
5. § 32f Abs. 3-5 RefE enthält keinerlei gesetzliche Vorgaben, gegen wen sich die kartellbehördlichen Eingriffe richten dürfen. Die Auswahl des Eingriffsadressatens steht im freien, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Ermessen des Bundeskartellamts, d.h. einer unabhängigen und weisungsfreien Bundesoberbehörde. Muss sich der Eingriff gegen den Verursacher der Wettbewerbsstörung richten? Oder ist er unabhängig vom Verursachungsbeitrag an denjenigen zu richten, der die Wettbewerbsstörung am effektivsten beseitigen kann? Aus dem Gesetzestext geht nicht einmal hervor, dass der Adressat auf dem Markt tätig sein muss, der Gegenstand der Sektoruntersuchung war. Ein fehlender Normadressat führt zu mangelnder Bestimmtheit und damit zur Verfassungswidrigkeit der Rechtsnorm.
6. § 32f Abs. 3-5 RefE stärkt die Eingriffsbefugnisse der Kartellbehörden, ohne den Rechtsschutz der betroffenen Unternehmen parallel ebenfalls zu stärken:
- Die Einleitung von Sektoruntersuchungen ist mangels Verfahrensbeteiligung und Beschwerde unverändert nicht anfechtbar.
- Der Ergebnisbericht zur Sektoruntersuchung ist keine kartellbehördliche Verfügung. In ihm enthaltene Feststellungen sind als solche unverändert nicht anfechtbar.
- Auf Sektoruntersuchungen gestützte Eingriffsmaßnahmen sind zwar mit der Beschwerde anfechtbar. Selbst bei Entflechtungsanordnungen hat diese Beschwerde aber keine aufschiebende Wirkung.
C. Der Gesetzentwurf gewährt kartellbehördliche Eingriffsbefugnisse unter Überschreitung verfassungsrechtlicher Grenzen.
7. § 32f Abs. 3-5 RefE sieht Maßnahmen vor, die in das Unternehmenseigentum eingreifen. Entziehende Entflechtungen sind Enteignungen i.S.d. Art. 14 GG. Entgegen der Entwurfsbegründung liegt eine solche Enteignung auch dann vor, wenn das entflochtene Eigentumsobjekt einem privaten Dritten staatlicherseits zur Erfüllung eines konkreten Gemeinwohlzwecks (hier: der Wiederbelebung des Wettbewerbs) zur Verfügung gestellt wird.3 Der Entwurf lässt auch unberücksichtigt, dass es bei § 32f Abs. 3-5 RefE nicht um contra legem aufgebaute Eigentumspositionen geht, sondern Eingriffe in Eigentumspositionen legitimiert werden, die ein Unternehmen rechtmäßig aufgebaut hat.
8. § 32f Abs. 3-5 RefE steht außerdem im Widerspruch zum Bestimmtheitsgebot. Nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten und in ständiger Rechtsprechung ausgeprägten Wesentlichkeitslehre muss der Gesetzgeber staatliches Handeln in grundlegenden Bereichen, insbesondere in den Eingriffsbefugnissen, durch förmliches Gesetz legitimieren und alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen. Im Ergebnis folgen daraus ein Verbot der Delegation wesentlicher Entscheidungen an die Exekutive und korrespondierend eine Pflicht des parlamentarischen Gesetzgebers, solche Entscheidungen selbst vorzunehmen. § 32f Abs. 3-5 RefE verfehlt diese Anforderungen:
- Die Norm regelt nicht, wann eine „erhebliche“ Wettbewerbsstörung vorliegt. Sie beschränkt den Anwendungsbereich der Norm nicht einmal auf strukturelle Störungen. Die Entscheidung über die Erheblichkeitsschwelle obliegt allein dem Bundeskartellamt.
- Mit Ausnahme des Unternehmensbegriffs regelt die Norm nicht, wer Adressat von Eingriffsmaßnahmen sein kann.
- Mit Ausnahme eines Stufenverhältnisses zur Entflechtung und eines nicht abschließenden Katalogs von Eingriffsmaßnahmen regelt das Gesetz auch nicht, welche Art von Eingriffen noch/nicht mehr zulässig ist.
§ 32f Abs. 3-5 RefE versteht sich hier nicht als ultima ratio, vielmehr ist sie hier als Generalklausel konzipiert, deren Anwendung und Reichweite nicht durch den Gesetzgeber festgelegt, sondern ins Ermessen der Kartellbehörde gestellt sind. Mit dem Wesentlichkeitsprinzip lässt sich dies nicht in Einklang bringen.
D. Der Gesetzentwurf ist mit höherrangigem EU-Recht unvereinbar.
9. § 32f Abs. 3 RefE steht im Widerspruch zu Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO 1/2003. Vereinbarungen und Verhaltensweisen die im Rahmen des Art. 101 Abs. 1 AEUV oder nach den Freistellungsvoraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV zulässig sind, dürfen nicht durch nationales Kartellrecht eingeschränkt oder verboten werden. § 32f Abs. 3 RefE betrifft Verhaltensweisen unterhalb der Vereinbarungs- und Abstimmungsschwelle des EU-Wettbewerbsrechts. Entsprechend dem kartellrechtlichen Selbstständigkeitspostulat4 und ständiger Rechtsprechung der Unionsgerichte sind diese Verhaltensweisen ausdrücklich erlaubt. Daran anknüpfende kartellbehördliche Eingriffe lassen sich mit Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO 1/2003 nicht in Einklang bringen.
E. Die geplanten kartellbehördlichen Eingriffsbefugnisse schwächen den Wirtschaftsstandort Deutschland.
10. § 32f Abs. 3-5 RefE birgt massive Risiken für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Sie liegen weniger in der einzelnen Entflechtung oder in sonstigen kartellbehördlichen Eingriffen zur versuchten Wiederbelebung eines erheblich gestörten Wettbewerbs. Entscheidend sind vielmehr die „Kollateralschäden“, die ein solches Gesetz im Vorfeld seiner Anwendung verursacht, insbesondere:
- § 32f Abs. 3-5 RefE verhindert Größen- und Verbundvorteile. Effizienzen, die bis zur Grenze der Ausschaltung des Wettbewerbs eine Freistellung wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen nach § 2 GWB tragen, können zukünftig ein Anlass für kartellbehördliche Eingriffe wegen erheblicher Wettbewerbsstörung sein. § 32f Abs. 3-5 RefE konterkariert damit die Wertung von § 2 GWB.
- § 32f Abs. 3-5 RefE reduziert Investitionsanreize. Entflechtungs- und sonstige Maßnahmen bergen ohne eine adäquate Kompensation die Gefahr, dass Unternehmen allein aufgrund der Existenz solcher Instrumente neue Investitionen in den Wirtschaftsstandort Deutschland unterlassen, weil sie im Falle eines kartellbehördlichen Eingriffs – ohne dass sie einen Rechtsverstoß begangen haben – den irreversiblen Teil ihrer Investitionen nicht zurückerlangen.
Entflechtungs- und sonstige Maßnahmen bergen zudem die Gefahr, dass Unternehmen von Investitionen in Forschung und Entwicklung Abstand nehmen, da ein return of investment aufgrund drohender kartellbehördlicher Eingriffe zur Wiederbelebung eines gestörten Wettbewerbs nicht mehr gesichert ist. Es besteht ein Risiko, dass gerade die für dynamische Märkte bedeutendsten Innovationen in Deutschland nicht mehr geschaffen werden und somit der technische Fortschritt beeinträchtigt wird.
Das beschriebene Risiko der Vorfeldwirkungen in Form eines Verlusts von Größen- und Verbundvorteilen sowie Investitions- und Innovationsanreizen ist umso größer, je unklarer die gesetzliche Regelung in ihren Anwendungsvoraussetzungen ist (vgl. nachfolgende Rn. 8 ff.).
Über den VIR:
Der Verband Internet Reisevertrieb e.V. (VIR) ist der Interessenverband der deutschen Digital-Touristik, die laut FUR-Zahlen von 2021 rund 66 Prozent der Urlaubsreisen ab einer Übernachtung mit vorab gebuchten Leistungen ausmacht. Der VIR ist nicht nur Ansprechpartner für die Branche, sondern auch für Verbraucher, Medien und Politik. Zu den VIR-Mitgliedern gehören über 80 Unternehmen, die in der digitalen Touristik tätig sind. Sie unterteilen sich in die vier Cluster OTA, Supplier & Tour Operator, Service- & Travel Technology Provider sowie Start-up.
Zu den Aufgaben des VIR zählen auch die Nachwuchsförderung, die Unterstützung von Innovationen und Neuentwicklungen, sowie die Sensibilisierung der Touristik für wichtige Trends und Themen.
VIR-Mitglieder sind: A3M, ACCON-RVS, act, adigi, AERTicket, Allianz Travel, Amadeus Germany, Backpackertrail, Bewotec, Berge & Meer, Booking.com, BPCS Consulting Services, CamperBoys, Concardis, DER Touristik, DynAmaze, EC Travel, elysium audio solutions, ERGO Reiseversicherung, Europ Assistance, Evaneos, exfinity, expipoint, Expedia Group, faircations, , FairWeg, fanz, FerienDiscounter, FLYLA, For You Travel, GIATA, Groupon, GreenTiny Houses, Hamburg Tourismus GmbH, HanseMerkur, heymundo, HolidayCheck, HRS, Invia Group, Involatus Carrier Consulting, journaway, Juvigo, Lambus, LEGOLAND Holidays, lialo, Lohospo, Midnight Deal, Midoco GmbH, MOTOURISMO, MyCabin, MYLi, OBS OnlineBuchungsService, Passolution, Payone, PayPal, refundrebel, re:spondelligent, RightNow Group, Sabre, sailwithus, schauinsland-reisen, silverscreentours, sleeperoo, socialbnb, Solamento, Sunny Cars, taa travel agency accounting GmbH, ta.ts, team neusta, tennistraveller, tourboerse, TourOne Systems, traffics, TraSo, Trasty, travelbasys, Travelport, Travivre, TripLegend, TRIP*PERFECT, TUI, TURESPAÑA, Ucandoo, weg.de, Wirelane und Xamine.
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