ATV Stellungnahme zum Referentenentwurf zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung an das BMI und BMAS
Die wichtigsten Punkte zum Referentenentwurf einer Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung:
Der Arbeits- und Fachkräftemangel ist eine Wachstumsbremse und eine der größten Herausforderungen (nicht nur) für die Tourismusbranche. Wir begrüßen deshalb das Vorhaben der Bundesregierung, qualifizierte Einwanderung nach Deutschland durch verschiedene Maßnahmen zu erleichtern. Allerdings beschränken sich die Erleichterungen weitgehend nur auf Fachkräfte. Im Tourismus, wie auch in anderen Dienstleistungsbranchen besteht jedoch nicht nur ein Bedarf an Fach- sondern explizit auch an einfachen Arbeitskräften, ohne die die Räder dennoch vielerorts stillstünden. Für diesen Bedarf bieten die vorliegenden Vorschläge nur sehr eingeschränkt Abhilfe. Dies erfüllt uns als Verbund von Vertretern aus der Tourismus- und Reisebranche aus unterschiedlichsten Gewerken mit großer Sorge.
- Das geforderte Mindestgehalt bei der Beschäftigung von Fachkräften in Höhe von 45,3% der Rentenbeitragsbemessungsgrenze ist zu hoch. Der sich daraus ergebende künftige Jahresverdienst von 49.580 € in Nicht-Mangelberufen übersteigt damit den durchschnittlichen Jahresbruttolohn in Deutschland um rund 3.500 €/Jahr. In Tourismus und Gastronomie bewegen sich die Gehälter in der Regel unterhalb des Gesamtdurchschnitts. Das durchschnittliche Jahresgehalt in der Gastronomie liegt beispielsweise bei rund 27.000 €, bei Köchen liegt es um 30.000 €. Maßstab für das Mindestgehalt sollte der Mindestlohn sein.
- Die Branchen in Deutschland stehen nicht nur untereinander im Wettbewerb um Arbeitskräfte, sie sind auch Wettbewerber mit den anderen EU-Staaten. Der Durchschnittslohn in Spanien liegt bei 2.100 €, die Beitragsbemessungsgrenze bei 4070,10 €. In Frankreich beträgt er 2.900 Euro, Beitragsbemessungsgrenze 3.428 €, Österreich liegt mit 3.200 € ebenfalls noch unter dem Durchschnittsgehalt in Deutschland, weist aber eine im Verhältnis deutlich geringere Beitragsbemessungsgrenze von 5.670 € auf. Für :Österreich ergäbe sich demzufolge ein Mindestgehalt für Einwandernde in Höhe von 2.466,45 € im Monat, welches deutlich unter dem Durchschnittsgehalt liegt und erheblich näher an dem, was in der Tourismusbranche gezahlt wird. Arbeitgebende haben somit einen höheren (und realistischeren) Spielraum, Arbeitsangebote zu machen. Länder mit einer im Vergleich zum Durchschnittslohn niedrigeren Beitragsbemessungsgrenze haben somit im innereuropäischen Wettbewerb um ausländische Arbeitskräfte einen erheblichen Vorteil.
- Tarifbindung: Der Tourismus ist von kleinsten, kleinen und mittelständischen Unternehmen bis hin zu Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern geprägt, die keinem Unternehmerverband angeschlossen sind und somit keinem Tarifvertrag unterliegen. Das bedeutet aber nicht, dass in diesen Betrieben nicht fair bezahlt wird. Wir verstehen und unterstützen das Anliegen der Bundesregierung, dass ausländische Beschäftigte zu gerechten Löhnen beschäftigt werden sollen. Es sollte aber die Möglichkeit für Betriebe, die keinem Arbeitgeberverband angehören, eröffnet werden, alternativ einen Nachweis zu erbringen, dass sie angemessen und fair entlohnen. Auch diese Betriebe müssen eine Chance haben, Arbeitskräfte im Ausland anzuwerben.
- Die Anforderung, dass Einwanderungswillige eine Berufsausbildung vorlegen sollen, geht an der Realität in vielen touristischen Berufen vorbei. Für viele in Deutschland dringend benötigte Tätigkeiten gibt es selbst im Inland keine Berufsausbildung bzw. ist diese für die Berufsausübung häufig nicht (mehr) üblich (z.B. Kellner, Kassierer, Einzelhandel, Check- in und Gästebetreuung, Room Service, Reinigung). Im Ausland existiert häufig keine formelle Ausbildung für diese Tätigkeiten, die Menschen werden angelernt und erwerben sich weitere Berufspraxis im Job. Selbst wenn eine formale Ausbildung vorliegt, muss dennoch für deutschlandspezifische Aspekte wie Hygieneregeln, Arbeits- und Gesundheitsschutz nachgeschult werden, Erfordernisse und Aufwand sind vergleichbar. Wir plädieren dafür, die Anerkennungspartnerschaft auch auf solche Berufe und Tätigkeiten zu erweitern.
- Aus 4 ergibt sich der Vorschlag, die nachträgliche Anerkennung von Berufsabschlüssen bzw. Berufserfahrung im Rahmen einer Anerkennungspartnerschaft demzufolge nicht allein auf Betriebe zu begrenzen die seit mindestens drei Jahren Ausbildungsbetrieb sind. Auch Betriebe, die selbst nicht ausbilden, sollte für Tätigkeiten, die keine formale Berufsausbildung erfordern, die Gelegenheit gegeben werden, die Qualifikation der Mitarbeiter zu bewerten und zu bestätigen bzw. für die notwendige Weiterqualifizierung zu sorgen und dies zu belegen.
- Wie begrüßen, dass die Anerkennung von Berufserfahrung und Abschlüssen aus dem Ausland deutlich erleichtert wird. Allerdings muss für die Überprüfung sichergestellt sein, dass sich daraus kein neuer Flaschenhals zusätzlich zur Visumsvergabe entwickelt.
- Wir begrüßen deshalb auch die Absicht, die Visumvergabe zu beschleunigen. Bei der West-Balkanregelung werden derzeit Termine für die Visumsvergabe verlost, weil der Andrang zu hoch und die Kapazitäten in den Auslandsvertretungen zu gering ist. Dort muss dringend Abhilfe geschaffen werden, damit die Vergabe schnell und bedarfsgerecht erfolgen kann.
- Liegen keinen ausreichenden Sprachkenntnisse in der deutschen Sprache vor, kann für die Chancenkarte alternativ Englisch auf Sprachniveau C1 nachgewiesen werden. C1 verlangt sehr umfassende Sprachkenntnisse, knapp unter dem Niveau eines Muttersprachlers. Das erscheint uns als Hürde zu hoch und auch nicht notwendig. Ein Niveau B2 oder gegebenenfalls sogar B1 wäre aus unserer Sicht ausreichend, da damit der Arbeitsalltag in den meisten Fällen problemlos bestritten werden kann. Die weitere sprachliche Qualifikation kann in den Betrieben stattfinden.
- Die Entfristung, Ausweitung und Aufstockung der West-Balkan-Regelung begrüßen wir ausdrücklich. Allerdings wird die Verdopplung des Kontingents auf 50.000 pro Jahr nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Einwanderungswillige, die über die West-Balkanregelung einreisen, bieten für weite Teile der Dienstleistungsbranche, sowie andere Branchen wie die Bauwirtschaft den einzigen Weg, um ungelernte Arbeitskräfte oder solche, die ihre Qualifikation durch Berufserfahrung nicht hinreichend nachweisen können, anzuwerben. Entsprechend hoch ist der Bedarf. Wir schlagen vor, statt einer fixen Zahl entweder auf jede Beschränkung zu verzichten oder diese bedarfsgerecht auszugestalten.
- Für kurzzeitige Beschäftigungen sieht das Gesetz einen Arbeitsmarktzugang unabhängig von einer Qualifikation vor. Dieser ist auf anfänglich 30.000 Arbeitskräfte begrenzt, die mindestens 30 Wochenstunden beschäftigt werden müssen. Angesichts des hohen, auch saisonalen Bedarfs in Tourismus und Gastronomie schlagen wir vor, auf eine solche Kontigentierung zu verzichten, da die Arbeitsaufnahme ohnedies in einem zeitlich klar befristeten Rahmen erfolgt. Es stellt sich zudem die Frage, welche Kriterien der Überprüfung und Neuzuteilung der Kontingente zugrunde liegen.
- Die Tourismusbranche ist gerne bereit und hat das auch bereits in Taten unter Beweis gestellt, dass man gerne und erfolgreich Geflüchtete integriert und diesen eine berufliche Perspektive und Qualifikation bietet. Allerdings ergeben sich dort etliche Hürden. So verhindern beispielsweise mangelnde Kinderbetreuungsmöglichkeiten häufig die Arbeitsaufnahme geflüchteter Frauen.
Nicht zuletzt sind die Betriebe aber zudem auf der Suche nach einer langfristigen Perspektive für Unternehmen. Arbeitsfähige Flüchtende können die angespannte Lage kurzfristig lindern, bereits mittelfristig stellt das aber keine Lösung dar.
Über das Aktionsbündnis Tourismusvielfalt:
Im Aktionsbündnis Tourismusvielfalt (ATV) haben sich 27 touristische Branchenverbände zusammengeschlossen und vertreten mehr als zehntausend Unternehmen, die für über eine Million Arbeitsplätze verantwortlich sind. Das Aktionsbündnis vereinigt einen umfassenden Querschnitt der deutschen Tourismuslandschaft. Die gemeinsame Zielsetzung ist es, die vielfältige Tourismuslandschaft zu erhalten. Das Aktionsbündnis tritt gemeinsam und mit einer Stimme gegenüber Politik und Öffentlichkeit auf und bündelt die Interessen der Branche. Nähere Informationen finden sich unter www.tourismusvielfalt.de
Stellvertretend für die Vertreter*Innen des Aktionsbündnisses Tourismusvielfalt:
Petra Thomas (Sprecherin)
Geschäftsführerin
forum anders reisen e.V. – der Verband für nachhaltigen Tourismus
petra.thomas@forumandersreisen.de
Michael Buller (Sprecher)
Vorstand
Verband Internet Reisevertrieb e.V. (VIR)
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