Schreiben an das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz: Neuregelung der Insolvenzversicherung im Reiserecht
Schreiben an das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz
Frau Gabriele Scheuer
Neuregelung der Insolvenzversicherung im Reiserecht
- Ausreichende Übergangsphase
- Niedrige Einstiegskriterien
- Individuelle Risikoeinschätzung abhängig vom Umsatz
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir begrüßen ausdrücklich das Bestreben der Bundesregierung, die Insolvenzversicherung im Reiserecht neu zu regeln. Die Anfang Juni vorgelegten Eckpunkte zur Neuregelung entsprechen im Wesentlichen dem niederländischen Modell des Reisegarantiefonds (SGR). Ein Modell, dass wir selbst in den vorangegangenen Gesprächen als Lösung vorgeschlagen haben. Jedoch hat sich die Lage der Tourismusbranche seit dem letzten Austausch gravierend geändert. Die Corona-Krise stellt die Branche vor noch nie dagewesene Herausforderungen:
- Die abzusichernden Risiken sind durch die Corona-Krise um ein Vielfaches gestiegen. Im Frühjahr sind die Anzahlungen der Kunden durch die Frühbucher traditionell sehr hoch. Gleichzeitig ist das meiste Geld bereits an die Destinationen (Vorauszahlungen für Hotels, etc.) sowie die anderen Leistungserbringer (Fluggesellschaften, Kreuzfahrtanbietern, etc.) geflossen. Dies führt nun zu einem zusätzlichen Problem, da die Reiseveranstalter die geleisteten Zahlungen ihrerseits von den Leistungserbringern nicht zurückbekommen.
- Die im Eckpunktepapier vorgesehene Bonitätsprüfung war vor der Corona-Krise ein gutes Mittel, um einen Unterschied innerhalb der Leistungskraft der Reiseveranstalter zu machen. So hätten gut aufgestellte Unternehmen davon auch profitiert. Allerdings haben wir durch Corona eine Situation, in der alle Reiseveranstalter bzw. alle touristischen Unternehmen aktuell so gut wie überhaupt keine Bonität mehr haben. Ebenso haben nun viele Reiseveranstalter Kredite aufgenommen, um ihr Geschäft weiterhin betreiben zu können. Weitere Bürgschaften werden demnach in der aktuellen Situation schwer zu bekommen sein. Um die gegenwärtige Situation in den Griff zu bekommen, werden die Unternehmen mindestens zwei Jahre brauchen.
- Auch ist noch nicht klar, wie sich die Versicherer jetzt verhalten werden. Auf der einen Seite ist fraglich, ob sie überhaupt über den 31.12.2020 hinaus Risiken versichern. Neuverträge abzuschließen ist im Augenblick fast nicht möglich. Darüber hinaus ist unklar, ob die Versicherungen grundsätzlich dafür bereitstehen, die höheren Risiken im neuen System abzudecken.
Ebenso müssen wir die Situation der Start-ups einbeziehen, denn sie sind für die Weiterentwicklung des Tourismus sehr wichtig. Die neue Regelung darf nicht dazu führen, dass die Hürde für Neugründer und Innovationen zu groß wird. Die Start-ups brauchen einen einfachen Zugang zu dem Insolvenzabsicherungssystem.
Zudem geht das Eckpunktepapier nicht auf die besondere Situation von Vermittlern verbundener Reiseleistungen ein. Auch diese können in die Situation geraten, Zahlungen gegen Insolvenz absichern zu müssen, ohne dass sie als Reiseveranstalter auftreten. Auch hierfür braucht es eine Lösung. All diese Punkte müssen bei der Ausgestaltung der Eckpunkte berücksichtigt werden. Wir erlauben uns folgende Vorschläge dazu zu machen:
A) Übergangsphase
- Im Eckpunktepapier ist die Rede davon, Übergangsregelungen für die Anfangsphase des neuen Systems zu finden. Dies halten wir für dringend notwendig. Diese Phase sollte aus unserer Sicht mindestens bis zum 31. Dezember 2022 andauern. Für die Reisebranche ist es kaum möglich, die Umsatzverluste aus diesem Jahr in ein bis zwei Jahren wieder aufzuholen.
- Egal ob kleines Start-up oder Weltkonzern, der Fonds muss in dieser Phase für alle zugänglich sein. Es müssen für diese Phase niedrige Einstiegskriterien aufgestellt werden.
- Der Zugang zum Absicherungsfonds muss in dieser Phase bonitätsunabhängig sein. Kaum ein Unternehmen in der Branche bekommt derzeit eine positive Bonitätsbewertung. Ein Absicherungsfonds ohne teilnehmende Unternehmen bringt schlussendlich niemandem was.
- In der Übergangsphase sollte der Absicherungsfonds bereits gefüllt werden. Alle teilnehmenden Unternehmen sollten einen Prozentsatz des relevanten Umsatzes von in Deutschland verkauften Pauschalreisen dort einzahlen.
Die Übergangsphase bis zum 31.12.2022 sollte den Unternehmen genug Zeit verschaffen, auf eine gute Bonitätsbewertung hinzuarbeiten.
B) nach der Übergangsphase am 01.01.2023
- Der Fonds muss für alle Unternehmen die Pauschalreisen in Deutschland verkaufen zugänglich sein, auch für Reiseveranstalter ohne Unternehmenssitz in Deutschland, die aber mit deutschen Verbrauchern Verträge abschließen.
- Laut Eckpunktepapier soll die Höhe der Sicherheitsleistung von der Bonität und dem individuellen Risiko des Unternehmens abhängig gemacht werden. Wichtig ist, dass bei der individuellen Risikoeinschätzung Anwendungsfälle mit geringem Risiko berücksichtig werden. Dies sind zum Beispiel, wenn ein Reiseveranstalter Zahlungen lediglich an die Leistungserbringer weiterleitet oder die Gelder nur für einen kurzen Zeitraum zwischen Bezahlung und Reisebeginn verwaltet.
- Den Faktor der Bonität eines Unternehmens und damit seine Leistungskraft, halten wir für extrem wichtig. Risiken einzelner Unternehmen, die sie in unterschiedlichem Maße eingehen, dürfen nicht verteilt werden. Wir halten es aber auch für wichtig, dass diese Bonitätsprüfung transparent und von neutraler Seite durchgeführt wird.
Abschließend sei gesagt, dass es nicht nur bei der Pauschalreise einer Gesetzesanpassung bedarf. Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse (Covid19 oder Wirecard) zeigt sich ganz deutlich, dass auch über eine Kundengeldabsicherung bei Flugtickets dringend nachgedacht werden muss.
Wir hoffen, mit unseren Ausführungen zur Neuregelung der Insolvenzabsicherung einen konstruktiven Beitrag zur Diskussion zu leisten und stehen Ihnen jederzeit für ein Gespräch zur Verfügung.
Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen
Michael Buller
Vorstand
Verband Internet Reisevertrieb e.V. (VIR)
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