Michis Thema der Woche

Wenn du ein Buch schreiben würdest…

Michael Buller © VIR

Die Welt ist abgeriegelt, Menschen können sich nicht mehr aus ihren Häusern bewegen und haben Angst vor einem Virus. Was sich zunächst anhört, wie der Beginn einer spannenden Lektüre, ist plötzlich ein Teil unserer Realität. Wer mir letztes Jahr ein solches Szenario prognostiziert hätte, dem hätte ich vermutlich erklärt, dass dies recht unwahrscheinlich ist.

Was haben wir in der Touristikbranche nicht alle diskutiert, ob die ITB Berlin nun stattfinden soll oder nicht! Im Nachhinein müssen wir festhalten, dass die Absage eine sinnvolle und vor allem auch mutige Entscheidung war. Zu dem Zeitpunkt war unser größtes Problem noch, dass man die Absage als ein schlechtes Zeichen für die Touristik deutete. Relativ schnell mussten wir jedoch unseren Irrtum einsehen und feststellen, dass die Sperrung diverser Ländergrenzen und dann die darauffolgende weltweite Abriegelung zu unseren größten Herausforderungen wurden.

Die Touristik war somit die erste Branche, die vom Corona Virus betroffen war. In den politischen Hilfsmaßnahmen, die selbstverständlich für alle Branchen funktionieren müssen, ist dies jedoch leider nicht berücksichtigt. Wir als Touristik sind den anderen Branchen vier Wochen voraus. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass uns als Industrie die Zeit „davonläuft“. All die Vorschläge für Hilfspakete und Lösungsmaßnahmen, welche die touristischen Verbände eingereicht haben, helfen vielen Branchen, aber möglicherweise nicht mehr unserer eigenen.

Zudem gibt es in der Touristik besondere  Probleme, aufgrund derer uns die aktuelle Krise besonders hart trifft. Man möge sich folgendes Szenario vorstellen: ein Restaurantbesuch von vor sechs Monaten muss auf einmal komplett rückabgewickelt und zurückbezahlt werden. Eine wunderliche Vorstellung, jedoch muss die Touristikbranche genau dies aktuell leisten! Reisen, die vor zahlreichen Wochen oder Monaten zum Beispiel für die kommenden Osterferien gebucht wurden, müssen nun zurückbezahlt werden. All die Kosten, die dabei entstanden sind, von IT über Marketing hin zu Personal, waren umsonst. Dieser Umsatz wird nun storniert und muss zurückbezahlt werden. Egal ob Leistungsträger, wie Hotels und Airlines, Reiseveranstalter oder sogar die Reisevermittler, alle müssen ihre Einnahmen und Provisionen zurückzahlen.

Genau das kann nicht funktionieren und deshalb treibt die Branche nun unverschuldet gen Abgrund. Dies ist auch keine Frage der Stärke oder Schwäche der Unternehmen, sondern hauptsächlich der Situation geschuldet, dass alle Produkte, die man verkauft hat, plötzlich nicht mehr verfügbar sind.

Mit großen Anstrengungen versuchen alle Verbände seit Wochen Lösungen zu finden. Persönlich bin ich der Meinung, dass nur ein Fond (siehe unsere Einreichung) eine sinnvolle Lösung darstellt. So bleibt nämlich nicht nur die Liquidität in alle Richtungen erhalten, sondern auch der Geldfluss, welcher aktuell extrem gestört ist.

Die Lösungen, die bisher von der Bundesregierung beschlossen wurden, sind zwar gut gemeint, aber die Umsetzung lässt in der Realität leider noch zu wünschen übrig.

Kurzarbeitergeld ist ein tolles Instrument, aber es muss zügig genehmigt werden und die finanziellen Vorleistungen, welche ein Unternehmen dabei leistet, müssen schnell zurückfließen.

In ländlichen Regionen scheinen die Arbeitsagenturen den Ansturm noch gut bewältigen zu können, aber in den Städten ist die Antragsflut wohl so groß, dass laut unseren Informationen 2 monatige Bearbeitungszeiten nichts mehr Ungewöhnliches sind.

Auch die Überbrückungskredite, für die die KFW knapp 500 Mrd Euro zur Verfügung gestellt bekommen hat, kommen bei den Unternehmen nicht an. Die Hausbanken, die für die Abwicklung verantwortlich sind, sehen die Touristik als Problemindustrie an. Es wird vielfach berichtet, dass die 20 Prozent Haftung, die sie als Bank übernehmen, bar hinterlegt werden muss. Teilweise werden weitere 20 Prozent on top gefordert oder eine selbstschuldnerische Bürgschaft des Geschäftsführers. Zu guter Letzt werden für diesen Kredit 7 Prozent Zinsen verlangt.

Das neueste von der Bundesregierung beschlossene Hilfspaket lässt uns alle staunen. Soloselbständige und Kleinstunternehmen mit bis zu 10 Mitarbeitern sowie sehr große Unternehmen werden in diesem berücksichtig. Die Frage, die sich uns nun stellt, ist jedoch: Wo sind die Programme  und Hilfen für den echten Mittelstand zu finden, ist dieser nicht eine tragende Säule der Wirtschaft Deutschlands?

Des Weiteren muss nochmal darauf hingewiesen werden, dass eben nicht nur eine Airline systemrelevant ist, sondern auch die wenigen  IT -, Service- und Techniksysteme, die die Touristik als großes Netzwerk verbinden. Was passiert, wenn Abrechnungssysteme nicht mehr existieren? Was passiert, wenn Buchungssysteme nicht mehr existieren? Was passiert, wenn Datenbanken nicht mehr vorhanden sind? Im Vergleich dazu wird das Airlineproblem vermutlich sehr klein sein, denn wenn die Systemanbieter der Touristik zusammenbrechen, wird ein „Neustart“ des Tourismus praktisch unmöglich!

Die touristischen Verbände haben sich dazu gerade über den BTW organisiert und gemeinsam einen Brandbrief an Frau Merkel verfasst. Die oben genannten Probleme sind identisch für alle Bereiche der Touristik. Lösungen, die man entwickelt, müssen wirklich ankommen. Hier muss man die Initiativen der Bundesländer loben, von denen viele sehr schnell Beihilfen ins Leben gerufen haben, die unkompliziert abrufbar sind und schon laufen.

Vielleicht hat die Krise aber auch etwas Gutes, denn wir erleben eine turboartige Digitalisierung von Unternehmen, welche noch vor vier Wochen weit entfernt schien. Wir haben viel über Flugscham diskutiert und auch ich dachte, ich könnte auf das Fliegen nicht verzichten. Teilweise war ich für Termine von drei Stunden mit Flug einen ganzen Tag unterwegs! Doch plötzlich funktioniert es dann doch, dass man das gleiche Meeting ohne Flug, aber dafür per Video-Konferenz abhalten kann. Selbst ein wichtiger Termin mit der BaFin war auf einmal digital möglich, während vor einiger Zeit noch 25 Personen für ein vorheriges BaFin Meeting nach Bonn gereist waren.

Ebenso müssen stationäre Betriebe aufgrund der Schließung ihrer Büros oder Ladengeschäfte anders mit ihren Kunden kommunizieren und plötzlich gilt auch hier: digital first. Die Kreativität mit diesen Umständen umzugehen, steigt von Tag zu Tag und ich bin begeistert, was alles möglich ist. Endlich wachsen analog und digital zusammen!

Ja, diese Krise wird uns verändern und sie wird weit über die Digitalisierung hinaus gehen. Wir lernen, dass Overtourism Luxus war und das „Undertourism“ ein echtes Problem ist. Wir werden sehen, dass das, was die Touristik leistet, sich kaum in Zahlen messen lässt. Ja, wir könnten darauf hinweisen, dass die Touristik im Jahr 2018 10,4 Prozent zur globalen Wirtschaftsleistung beitrug (Quelle: BMZ). Wir könnten darauf hinweisen, dass die Branche über 3 Millionen Menschen in Deutschland einen Arbeitsplatz bietet. Die positiven Impulse des Tourismus strahlen auch in andere Wirtschaftsbereiche wie Handel, Handwerk oder Landwirtschaft aus. Berücksichtigt man Vorleistungen wie Dienstleistungen am Flughafen, Lieferungen von Bäckern an Gaststätten oder Renovierungsarbeiten durch Handwerker im Hotel, kommen weitere 1,25 Millionen Beschäftigte hinzu, die indirekt aus dem Tourismus resultieren (Quelle: BMWi). Zum Vergleich, 2018 gab es in Deutschland „nur“ 800.000 Beschäftigte in der Automobilindustrie (Quelle: Statista).

In Entwicklungs- und Schwellenländern wird durch 15 deutsche Touristen eine Person direkt im Tourismus beschäftigt. Werden die indirekten bzw. induzierten Effekte mitberücksichtigt, sind etwa sechs Touristen für einen Arbeitsplatz erforderlich (Quelle: BTW).

All das wäre jedoch zu klein gedacht, denn was Reisefreiheit bedeutet, merkt man erst, wenn sie einem verwehrt wird. Ein schöner Abend mit Freunden, vorher eine fast schon banale Freizeitbeschäftigung, wird nun zum unerfüllbaren Wunsch nach Abwechslung.

Wir werden lernen, was zwischenmenschliche Kontakte bedeuten und diese wieder zu schätzen zu wissen. Wir werden sehen, was die populistische Staatschefs dieser Welt in einer Krise wirklich leisten und werden zu schätzen wissen, das es vermutlich die Leisen waren, die gute Entscheidungen getroffen haben und eben nicht die Lauten.

Wir müssen langsam verstehen, dass die Welt, in der wir aufwachen werden, eine andere sein wird. Das ist mir auf den interessanten Abendsessions von Tourismuszukunft, an denen viele Touristiker aus der DACH Region teilnahmen, absolut klar geworden. Tourismus wird  ganz anders sein, als er vorher war. Es wird danach nicht reichen, einfach nur alles wieder hochzufahren und mit den gleichen alten Dingen weiter zu machen. Wir alle werden uns dann verändert haben und deswegen unsere Geschäftsmodelle überdenken müssen.

Wertvolle Produkte brauchen echte Werte, die glaubwürdig und gelebt sein müssen. Status wird nicht Eigentum sein, sondern Erlebnisse. Irgendwie kommt uns das doch bekannt vor, nämlich von der jungen Generation, aber nun haben wir es auf die harte Tour erklärt bekommen.

In jeder Krise steckt eine Chance und mir kommt es so vor, als hätten wir gerade ein System rebooted und nun ist alles wieder am richtigen Platz und funktioniert. Dieses Drehmoment heißt es zu nutzen! Auch wenn es schwer fällt, muss man jetzt auch nach vorne sehen und die Zeit nutzen, um alles zu überdenken.

Hurra wir leben noch und jetzt erst Recht!

Abonnieren Sie den monatlich erscheinenden VIR-Newsletter!

Wir informieren Sie über aktuelle Themen von und für die Touristik.

Alle Beiträge finden Sie in unserem News-Bereich aufgelistet. Oder wählen Sie aus unseren News-Kategorien einen Themenbereich und lesen Sie nur die jeweiligen Themenbeiträge.