VIR appelliert an die Politik: Notwendige Hilfen für den Tourismusstandort Deutschland in der Corona-Krise
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Lage der Touristik ist derzeit sehr ernst. Noch nicht ganz erholt vom Schock der Thomas Cook Insolvenz ist die Branche in der nächsten Krise. Diese ist in Bezug auf den touristischen Sektor in ihrem Mechanismus vergleichbar mit der Bankenkrise im Jahr 2008. Damals wollten Anleger massenweise ihre Einlagen ausbezahlt haben. Durch die dadurch entstehenden Liquiditätsengpässe drohte die Insolvenz.
Ähnliches droht jetzt der deutschen Tourismusbranche: Geplante Reisen und Übernachtungen werden storniert und Neubuchungen werden aus Unsicherheit über die Entwicklung der Lage bereits seit Wochen nicht getätigt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher verlangen ihr bereits bezahltes Geld zurück. Die Anbieter müssen den Verbraucherinnen und Verbrauchern ihre bereits getätigten Zahlungen „unverzüglich, auf jeden Fall aber innerhalb von 14 Tagen nach dem Rücktritt”, zurückerstatten (BGB § 651h, Absatz 5). Eine Vorschrift, die in regulären Zeiten sinnvoll zum Verbraucherschutz beiträgt. Wir befinden uns aber nicht in regulären Zeiten – und dies schon seit der Thomas Cook Insolvenz nicht mehr.
Weder die Reiseveranstalter, noch die Leistungsträger haben die liquiden Mittel für Rückforderungen in solch außergewöhnlichen hohen Summen. Es drohen Insolvenzen in großem Ausmaß.
Besonders betroffen, aber wenig beachtet sind zudem all diejenigen Dienstleister im Hintergrund, die eine Reisebuchung – ob online oder offline – erst möglich machen. Die IT- und Infrastrukturdienstleister (globale Distributionssysteme (GDS) und Internetbuchungsmaschinen (IBE), die Callcenter-Betreiber und Zahlungsdiensteanbieter sind für die gesamte Brache systemkritisch. Wenn diese Unternehmen insolvent gehen, kann kein Anbieter mehr seine Produkte verkaufen. Oder die Reisevermittler (online ebenso wie stationär), die gerade ihre Kunden täglich über die sich ändernden Lage informieren und bei Umbuchungen und Stornierungen helfen. Sie haben ihre Provisionen schon in das Marketing investiert und müssen diese jetzt zurückzahlen.
Was muss die Bundesregierung jetzt tun?
Jetzt ist Eile gefragt. Im Gegensatz zu vielen anderen Branchen, die die Auswirkungen der Krise erst seit Mitte März zu spüren bekommen, traf es die Reisebranche dieses Mal bereits Wochen vorher. Die Deutschen üben sich in Zurückhaltung, seit die Meldungen von erhöhten Infektionszahlen in Europa Anfang/Mitte Februar zunahmen und mit diesen, die europaweiten Reisewarnungen und Einschränkungen. Die Buchungszahlen sind sukzessive gesunken und die Stornierungen in die Höhe geschnellt. Deshalb leidet die Branche bereits seit mehreren Wochen und hat keine zwei Wochen mehr Zeit, um die Situation zu überbrücken. Staatliche Hilfen sind jetzt notwendig und müssen schnell zur Verfügung stehen und zu beantragen sein!
Gutscheine statt Barauszahlungen
Als zeitlich befristete Sofortmaßnahme sollte die Bundesregierung den Reiseveranstaltern und Leistungsträgern die Möglichkeit gewähren, den Verbraucherinnen und Verbrauchern Gutscheine anstelle der Barzahlung aushändigen zu dürfen. Dies wäre eine schnell umsetzbare Maßnahme mit direkter Wirkung für die Unternehmen. Denn so würden die ohnehin geringen Liquiditätsreserven nicht weiter belastet werden. Und andere europäische Länder machen es vor: Italien; Belgien und die Niederlande haben bereits entsprechende Regelungen für Gutscheinlösungen geschaffen, Frankreich steht kurz davor und auch andere europäische Länder prüfen das gerade. Und auch die EU-Kommission sieht in der Gutscheinlösung ein, der angespannten Liquiditätslage der Veranstalter entgegenzukommen. Zu betonen ist, dass dies jedoch nur als temporäre Übergangslösung betrachtet werden sollte, bis der von uns nachfolgend skizzierte nachhaltiger wirkende Fonds für Rückzahlungsverpflichtungen aus stornierten Reisen installiert ist.
Fonds für Rückzahlungsverpflichtungen aus stornierten Reisen
Eine viel drastischere Maßnahme ist notwendig, um alle Unternehmen zu stützen, die sich aufgrund der Situation Forderungen gegenüber sehen, die sie -, unverschuldet und außerhalb Ihres Einflussbereiches – nicht erfüllen können. Die Bankenkrise hat gezeigt wie es geht. Eine neuer Sonderfonds als Sondervermögen des Bundes ist notwendig.
Die Reiseveranstalter lagern dorthin die Rückzahlungen an ihre Kunden aus und treten gleichzeitig die Forderungen gegenüber Leistungsträger ab. Die Leistungsträger oder Reisevermittler könnten ebenfalls ihre Rückzahlungsverpflichtungen auslagern. Die Bundesregierung übernimmt als Schuldner.
Wie bekommt man die rückzahlungspflichtigen Buchungen im Fonds organisiert?
Eine Handvoll sogenannter Midoffice-, Backoffice- und Finanzbuchhaltungssysteme verwalten in ihren Systemen die Buchungen aller Akteure im deutschen Touristikmarkt. Dies beinhaltet die Forderungen von Kunden, Provisionsabwicklungen oder auch Abrechnungen von Zulieferern. Diese könnten deshalb über Schnittstellen eine zentrale Rolle in der Lieferung und Verwaltung der rückzahlungspflichtigen Buchungen an den Fonds spielen. Der Fonds könnte in Form einer Datenbank installiert werden. Für den Aufbau und die Verwaltung könnte eine niedrige Servicegebühr installiert werden, die an die Midoffice-, Backoffice- und Finanzbuchhaltungssysteme zu entrichten wäre. Dies würde diese ebenfalls bei der Aufrechterhaltung ihres Betriebes unterstützen.
Wie kann eine Abwicklung erfolgen?
Touristikunternehmen die Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber Kunden aus Stornierungen vorliegen haben, müssen diese nun an die installierte Datenbank melden. Dies kann automatisch über systemische Schnittstellen abgewickelt werden. Dort müsste der Vorgang anhand gewisser Kriterien (Reisezeitraum, zu dem Zeitpunkt gültige Reiseregularien etc.) geprüft und anschließend anerkannt werden. Diese Kriterien müssen laufend entsprechend der Entwicklungen der Krise und seiner Reiseregularien angepasst werden. Anschließend wird das Geld entsprechend durch den Fonds ausbezahlt.
Wie erfolgt die Rückzahlung an den Staat?
Die Reiseveranstalter, Leistungserbringer und Reisevermittler müssen sich wiederum verpflichten innerhalb eines angemessenen zeitlichen Rahmens von beispielsweise drei Jahren, die Zahlungen zurückzuzahlen. Dies kann zu einem niedrigen Zinssatz von ein Prozent und einer kleinen Bearbeitungsgebühr erfolgen.
100 Prozent Haftungsübernahme bei Überbrückungskrediten
Überbrückungskredite könnten notwendig werden, um die laufenden Betriebskosten der Unternehmen zu stemmen während andauernder Zeiten ohne Einnahmen. Bisher ist es so, dass die Hausbank 20 Prozent des Risikos des Überbrückungskredits tragen muss. Es gibt bereits Fälle, wo die Hausbank vom Unternehmen eine Bürgschaft von 40 Prozent verlangt. Zudem wittern einige Banken das große Geschäft und verlangen Zinsen weit über dem derzeitigen niedrigen Zinsniveau. Um zu gewährleisten, dass andere jetzt nicht auf Kosten der betroffenen Unternehmen Gewinne machen, ist eine 100 prozentige Haftungsübernahme notwendig.
Beihilfen
Überbrückungskredite können eine Maßnahme sein, um kurzfristig Liquidität zu gewährleisten. Viele Unternehmen stehen allerdings vor der Angst, diese niemals zurückzahlen zu können. Denn unter dem Gesichtspunkt dass die deutsche Touristik weltweit agiert mit Millionen von Deutschen die in der Regel in die Welt verreisen und einer Pandemie die sich aktuell weltweit mit großer Geschwindigkeit verbreitet, gehen die meisten Touristikunternehmen davon aus, dass sie im besten Fall in diesem Jahr nur noch 30 Prozent des üblichen Jahresvolumen einfahren können. Davon noch zusätzliche Kredite zu bedienen, ist quasi unmöglich. Was es braucht, sind gezielte und einfach zugänglich finanzielle Beihilfen für alle betroffene Unternehmen und zwar jetzt und unbürokratisch.
Eines haben alle Maßnahmen gemeinsam, sie müssen jetzt entschieden und vor allem freigeschaltet werden.
Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen
Michael Buller
Vorstand
Verband Internet Reisevertrieb e.V. (VIR)
Mit Unterstützung der folgenden Verbände:
Über den VIR:
Der Verband Internet Reisevertrieb e.V. (VIR) repräsentiert die digitale Touristik, die laut FUR-Zahlen von 2018 rund 65 Prozent der Urlaubsreisen ab einer Übernachtung mit vorabgebuchten Leistungen ausmacht. Zu den VIR-Mitgliedern gehören mehr als 90 Unternehmen, die in der digitalen Touristik tätig sind. Sie unterteilen sich in die vier Cluster OTA, Supplier & Tour Operator, Service & Travel Technology sowie Start-up. Der VIR fungiert als Ansprechpartner für Verbraucher, Medien, Politik und die Branche selbst bei sämtlichen Themen rund um die digitale Touristik.
VIR-Mitglieder sind: Acomodeo, adigi, ACCON-RVS, act, AERTicket, Allianz Travel, Amadeus Germany, Amazon Pay, Bewotec, Berge & Meer, Bontravo GmbH, BPCS Consulting Services, CamperBoys, DB Vertrieb, DER Touristik, Expedia Group, EC Travel, ERGO Reiseversicherung, Europ Assistance, Evaneos, Fair Voyage, FerienDiscounter, FLYLA, Fly Money, For You Travel, FTI Touristik, GIATA, Groupon, Hamburg Tourismus GmbH, HanseMerkur, heymundo, HolidayCheck, HRS, Intent, Invia Group, journaway, Juvigo, Klarna, LEGOLAND Holidays, List and Ride, mami-poppins, Mamistravelguide, meine-weltkarte.de, Meravando, Midoco GmbH, Motourismo, MYLi, Passolution, PayPal, PCI Proxy, refundrebel, Reise-Rebellen, re:spondelligent, RightNow Group, Sabre, salesforce, schauinsland-reisen, SIX Payment Services, silverscreentours, sleeperoo, Solamento, Sunny Cars, taa travel agency accounting GmbH, ta.ts, team neusta, tennistraveller, traffics, Trasty, travelbasys, Travelport, TRIP*PERFECT, triper one, tripi, TrustYou, TrustYourTrip, TUI, Ucandoo, Unplanned, Urlaubsrente, vawidoo, virtualpro360, Viselio, weg.de, Wirecard und Xamine.
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