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Neue Medien braucht das Land… Auflagenschwund und sinkende Anzeigen – Zeitschriften als Verkaufsrampe für das Produkt Reisen

VIR Beirat für PR

Not macht bekanntlich erfinderisch. Das gilt nicht zuletzt auch für die Manager der großen deutschen Verlagshäuser. So läßt Gruner & Jahr mit einer neuen Initiative aufhorchen. Ab sofort bieten die Hamburger ihre Titel „Stern“, „Brigitte“, „Geo“, „Geo Saison“, „Gala“ und „Eltern“ als Verkaufsrampe für ausgesuchte Reisen an. Die Angebote werden passend zu den Magazintiteln in entsprechende „Reisewelten“ ausgewählt und sind – so die Ankündigung – inhaltlich auf die jeweilige Zeitschriftenmarke und ihre Zielgruppen abgestimmt. Ob die Verlage mit dem Produkt Reisen die passende Antwort auf ihre Herausforderungen gefunden haben mag angesichts der schmalen Margen in der Touristik mehr als bezweifelt werden. Aber gegenwärtig scheint jedes Mittel recht, um sich gegen das radikal veränderte Mediennutzungsverhalten aufzubäumen und neue Erlösquellen auszumachen.

Keine Frage:  Der Job als Verlagsleiter in den großen deutschen Verlagshäusern ist schon seit geraumer Zeit nicht mehr „vergnügungssteuerpflichtig“. Sehenden Auges und ganz offensichtlich bislang ohne erfolgreiche Patentenrezepte in der Schublade müssen sie von der Zuschauerbank täglich beobachten wie die einstigen Dickschiffe der deutschen Medienlandschaft hinter dem Horizont verschwinden – und entsprechend von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat und von Woche zu Woche an Bedeutung verlieren. Das gilt übrigens nicht nur für die Publikumszeitschriften, sondern für fast ausnahmslos sämtliche Print-Objekte. Ein Blick auf die Erhebungen  der „Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V. (IVW)“ lässt die Stimmungslage in den Medienhäusern in Hamburg und München erahnen. So brachte es der „stern“ laut IVW bei der Januar-Ausgabe 3/2017 auf ganze 193.545 Einzelverkäufe bei Supermärkten, Kiosken, Tankstellen und Presse-Fachhändlern. Der „Spiegel“ verkaufte in der Berichtswoche 197.3000 Hefte, der „Focus“ musste sich mit 55.668 Heften begnügen, die er im Einzelverkauf absetzte. Zur Erinnerung: Wir sprechen von einer Bevölkerung von rund 80 Millionen Bundesbürgern. Ohne die Abos und sonstigen Verkäufe wäre es um die Verlage zweifellos finster bestellt.

Es ist eine Binsenweisheit: Der zu beobachtenden „Zerfall“ der großen Kathedralen in der deutschen Medienlandschaft geht zum größten Teil auf das Konto der Digitalisierung – ist aber mit Sicherheit kein Indiz dafür, dass die Menschen in unserem Land etwa „verblöden“. Die gute Nachricht: Nie war das Angebot an Informationen und Meinungsäußerungen größer als heute. Die Kehrseite: Der Mensch ist angesichts der Tsunami-ähnlichen Flutwelle an täglichen Informationen ganz offensichtlich zunehmend im Umgang mit Informationen und Desinformationen, mit der Wahrheit oder „alternativen Fakten“ überfordert. Es scheint sich zudem eher der Verdacht zu erhärten, dass sich viele Menschen schlicht und einfach nicht (mehr) informieren wollen und sich journalistisch professionell aufbereiteten Informationen bewusst versagen. Oder sie lassen nur noch die Informationsquellen über die Social Media Kanäle an sich heran, die ihr eigene Meinung widerspiegeln. Kontroverse Auseinandersetzungen mit Informationen und Ansichten aus anderen Quellen oder der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus haben in diesem Lebensmodell keinen Platz.

Düstere Perspektiven auf die deutsche Medienlandschaft? Nein – keineswegs. Nur die Spielregeln ändern sich derzeit – und das in einem atemberaubenden Tempo. Heute wundert sich niemand mehr, wenn Jörg Howe als Kommunikationschef von Daimler ankündigt, seine Abteilung in ein digitales Medienhaus verwandeln zu wollen. Für den Aufbau eigener Medien holt sich der Stuttgarter Autobauer geballtes journalistisches Know-how ins Haus: vom bekannten Blogger wie Sascha Pallenberg bis hin zum früheren Stern-Chefredakteur Dominik Wichmann. Credo: Wir demonstrieren unsere Qualitätsansprüche über eigene Medien.

Dass die Reiseindustrie ähnliche Wege geht zeigen übrigens Beispiele aus den vergangenen Wochen: Die weltweit führende Online Suchmaschine KAYAK hat mit dem „KAYAK MGZN“ ein Online-Magazin an den Start gebracht, das es ohne weiteres mit den Online-Angeboten der bekannten Verlage aufnehmen kann. Kein Wunder – für die Chefredaktion hat sich auch KAYAK einen Profi an Bord geholt, der in der Branche höchste Anerkennung genießt: Michael Hegenauer war viele Jahre im Reiseresort der WELT-Gruppe von Axel Springer tätig. Auf Du und Du mit seinen Kunden geht auch HolidayCheck. Das größte deutschsprachige Bewertungsportal für Reise und Urlaub im Internet hat für sein neues digitales Reisemagazin „Away“ ein Team von professionellen Reiseredakteuren der Cross Media Redaktion um den ehemaligen ADAC Reisemagazin Chefredakteur Joachim Negwer gewonnen. Zwei neue Medienangebote, die nicht nur für sich genommen Spaß beim Lesen bereiten. Sie sind Beispiele dafür, dass  Qualitätsjournalismus nach wie vor gefragt ist. Nur der Weg zum Konsumenten verschiebt sich – und das mit einer nie dagewesenen Dynamik. Viel Spass beim Lesen!

Text: Thomas Wilde

Bild: VIR

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