Growth Pain – Warum Erfolg immer auch ein bisschen weh tut
Ein Gastbeitrag von Axel Jockwer (Business Angel und Gründercoach)
Ein Geschäftsmodell verzeichnet Erfolge am Markt – eine gute Nachricht! Nun gilt es für das erfolgreiche Unternehmen, diesen Erfolg zu bewältigen und in ein gesundes Wachstum zu überführen. Entsprechend werden Prozesse nötig, um stabil zu skalieren, Strukturen und klare Verantwortlichkeiten müssen geschaffen werden und neue Personalressourcen erschlossen werden, um die deutlich angewachsene Arbeitslast auf mehr Schultern zu verteilen.
Seit einigen Jahren begleite ich Start-ups und andere Unternehmen in solchen Phasen schnellen Wachstums. Wachstum bedeutet immer Veränderung: strategische Neupositionierung, Veränderungen im Arbeitsalltag, personelle Verstärkung und Entwicklung, veränderte kommunikative Bedürfnisse, räumliche und technische Herausforderungen sowie neue Aspekte von Kultur und Selbstverständnis.
Organisationen, Menschen, Prozesse: Die vergessene Seite der Skalierung
Wenn wir von Skalierbarkeit sprechen, meinen wir in erster Linie die Skalierung eines Geschäftsmodells. Wie kann man mit mehr Markt- und Kundenwissen, einer optimierten Marketingstrategie, schlankeren Prozessen und starken Vertriebsinitiativen einem Business zu prächtigem Wachstum verhelfen? Gibt der Markt das her, wie verändert er sich in seinen diversen Dimensionen? Wie muss man das Produkt schärfen, weiterentwickeln, differenzieren, diversifizieren? Was macht der Wettbewerb?
Ich habe alle diese Themen strategisch und operativ betreut und dabei viele Einblicke in Unternehmen unterschiedlichster Größe und Schlagkraft bekommen. Dabei habe ich jedoch zwei Beobachtungen gemacht:
- Bei allen Differenzen zwischen den Märkten und Produkten gibt es große Konstanten hinsichtlich der Probleme in der Entwicklung von Organisationen, Menschen und Prozessen. Gerade schnell wachsende (und damit erfolgreiche) Unternehmen werden in überraschend paralleler Weise an den gleichen Stellen mit Problemen konfrontiert, die eigentlich doch schon hinlänglich bekannt sein sollten.
- Diese Seite der Skalierung, also die von Organisationen, Menschen und Prozessen, wird oftmals zugunsten der strategischen Seite einer Skalierbarkeit vernachlässigt. In der Praxis jedoch verhindern Probleme auf beiden Seiten ein erfolgreiches und nachhaltiges Wachstum.
Growth Pain Matrix: Wachstumsschmerzen in den fünf verschiedenen Organisationsgrößen
Die „Growth Pain Matrix“ beschreibt die typischen Wachstumsschmerzen von Organisationen. Fünf verschiedenen Organisationsgrößen werden typische, empirisch belegte Probleme in sechs Dimensionen (Strategy, Workload, Communication, HR, Infrastructure, Mindset) zugewiesen.
Im Prinzip lässt sich diese Matrix beliebig erweitern und könnte sowohl größeren Organisationen jenseits der 100 Mitarbeiter den Spiegel vorhalten als auch durch weitere inhaltliche Dimensionen (z.B. Leadership, Finance, Technik) ergänzt werden.
Die Kehrseite der Schmerzmatrix ist die „Growth Fix Matrix“, die auf Lösungsansätze hinweist, die den Schlüssel zu jeder identifizierten Problemlage liefern können. Ein solcher Schlüssel kann einfach nur ein geschärftes Problembewusstsein mit der Folge von mehr Fokussierung auf ein Thema sein, eine Umverteilung von Ressource oder eine Neuausrichtung eines Teils der Organisation. In der Regel ist der Anwendung eines Schlüssels ein Workshop oder ein strategisches Beratungsprojekt vorausgegangen. In jedem Fall ist Veränderung gefordert.
Werfen wir nun einen Blick auf die fünf beschriebenen Unternehmensgrößen.
1. Quick & Dirty – die Macher
Die Kernzelle eines Unternehmens ist das kleine Team aus meist zwei bis drei Menschen mit einer guten Idee und dem Willen zum Erfolg. Ein solches Gründerteam kümmert sich nicht viel um strategische Aspekte, sondern konzentriert sich in erster Linie auf die Exekution. Man ist schnell, spontan und agiert voller Energie. Hohe Arbeitslast gehört zum Alltag, am liebsten möchte man sich selbst duplizieren. Recruiting findet in der Regel im eigenen Netzwerk statt. Es gibt kaum Probleme in der Kommunikation, die beengte Raumsituation sowie eine geringe funktionelle Differenzierung schafft maximale Transparenz – jeder weiß jederzeit alles. Infrastrukturelle Herausforderungen meistert man mit eigenem handwerklichen Geschick, eigenen Arbeitsgeräten und selbstgezogenen Kabeln. Die Eigenwahrnehmung ist geprägt von hohem Selbstbewusstsein und dem starken Glauben an das eigene Produkt und die eigene Kompetenz.
2. Billig & willig – das kleine Team
Hat das Startup den Gründungsmodus verlassen und das Team um festangestellte Mitarbeiter erweitert, bringt das in der Regel eine erste sehr schmerzhafte Erfahrung mit sich: Arbeitskraft lässt sich in den wenigsten Fällen (nämlich extrem standardisierte Arbeitsprozesse) linear skalieren. Die gewünschte Entlastung durch neue Mitarbeiter bleibt also großteils aus. Zudem ist man in dieser Phase oft damit beschäftigt, mit Banken oder Investoren zu sprechen, da zwar inzwischen der Beweis erbracht ist, dass das Geschäftsmodell funktionieren kann, es aber noch weiterer Investitionen bedarf, um wirklich Ergebnisse zu erwirtschaften.
Um die Kommunikation in einem kleinen Team transparent zu gestalten, bedarf es schon erster Techniken und meist noch informeller Regeln. Nicht selten entstehen aber genau hier erste ernsthafte Probleme. In der Folge wird dann der Zusammenhalt des Teams beschworen, um erste kommunikative Differenzen sowie die Ungleichheit zwischen Gründern und Mitarbeitern zu überbrücken. Beim genauen Hinschauen weiß bereits jetzt nicht mehr jeder alles und nicht alle sind gleich. Doch jeder Mitarbeiter ist sich ausreichend darüber im Klaren, dass alle mehr von einer erfolgreichen Geschäftsentwicklung haben, als wenn man jetzt scheitern würde.
Im Recruiting muss es in dieser Phase vor allem billig und einfach sein, so dass in der Folge vor allem junge unerfahrene Kräfte und Praktikanten an Bord kommen. Ähnlich preissensibel agiert man im Ausbau der Infrastruktur, die immer wieder an ihre Grenzen stößt.
3. Die Stunde der Wahrheit
In der nächsten Phase (irgendwo rum um eine Mitarbeiterzahl von 18) kumulieren einige Probleme, die sich bisher nur sanft angedeutet hatten. Dies kann so massiv und herausfordernd passieren, dass Organisationen und Führungspersonen daran scheitern.
Der bislang mit Blick auf die täglichen operativen Herausforderungen wiederholt ignorierte Ruf nach einer handfesten Strategie wird nun unüberhörbar. Einerseits bildet eine klare Strategie die Basis für nachhaltigen Erfolg, andererseits gibt Klarheit darüber auch intern einen extrem wichtigen Rahmen vor, an dem sich jeder Mitarbeiter orientieren kann. Warum machen wir das alles? Wo soll es hingehen? Und welche Rolle spiele ich dabei?
Der gelebte Aktionismus, nämlich alles parallel zu machen, um keine Chance zu verpassen, maximiert den Workload und sorgt für Stress und das Gefühl der Überlastung. Zeitgleich sorgen Gerüchte und unvollständige Information für das Gefühl dauernder Kommunikationsdefizite. Wenn dann noch ungenügende technische und räumliche Infrastrukturen dazukommen, können Spannungen die Qualität der Arbeit und Zusammenarbeit massiv beeinträchtigen.
Zugleich muss sich HR (falls bereits als Funktionseinheit vorhanden, sonst bleibt die Arbeit am Gründerteam hängen) in dieser Phase verstärkt mit den Themen Wertschätzung und Differenzierung beschäftigen, denn die Fragen nach mehr Gehalt und einem wohlklingenden Titel kommen jetzt überraschend häufig auf den Tisch.
Trotz aller Probleme ist in dieser Phase ein eindeutiges Bekenntnis der Mitarbeiter zur Marke gegeben, das mitunter schon sektenhafte Züge annehmen kann.
4.Das kleine große Unternehmen
Die 40-Mann Phase eines kleinen Unternehmens ist geprägt von einem unsauberen Transfer der strategischen Überlegungen in die operative Praxis, von mangelndem Fokus und unklarer Priorisierung. Viele Dinge werden parallel angegangen, ohne dass gemeinsam an einem Strang gezogen wird. Ein wichtiger Grund dafür ist auch, dass sich geschlossene Abteilungen und individuelle Verantwortungsbereiche herausgebildet haben, die immer auch ein Gegenbild von einer Gesamtverantwortung darstellen. So wird es leicht, den Kopf zu schütteln und anderen Versagen vorzuwerfen.
In der Mitarbeiterschaft haben sich zusätzlich zu den Abteilungen Gruppen gebildet, nicht selten verweigert ein „inner circle“ die Etablierung einer Willkommenskultur für neue Mitarbeiter. Nach außen aber zeigt das Unternehmen Geschlossenheit und feiert sich auf Firmenevents als klüger und erfolgreicher als der Wettbewerb.
5. Auf dem Weg in die Anonymität
Längst ist das große Bild verloren gegangen, kaum jemand kennt noch Kernprozesse und strategische Markenpositionierung. Dafür stimmt jeder ein in die einheitliche Klage über Langsamkeit, wenig Ressourcen und mangelnde Abstimmung.
Ein Arbeitstag besteht jetzt zu einem Gutteil aus Meetings, die in ihrer Effizienz Einiges zu wünschen übrig lassen. Die Klage, man käme vor lauter Meetings kaum zum Arbeiten, deutet auf den gefühlt niedrigen Mehrwert dieser doch so wichtigen und nicht ersetzbaren Kommunikationsmöglichkeit hin. Gerade Mitarbeiter, die in ihren Führungsrollen noch nicht angekommen sind oder für die der Wechsel aus der operativen in die führende Rolle auch gar keine gute Wahl war, tun sich schwer damit, den informierenden, koordinierenden und delegierenden Aspekten ihrer Arbeit genügend Raum einzuräumen.
Unterschiede zwischen Mitarbeitern hinsichtlich fachlichen und menschlichen Kompetenzen sowie Motivation und Zielen werden immer sichtbarer. Eine gute Personalabteilung muss lernen, immer besser zu rekrutieren, zu steuern und zu entwickeln.
Die Infrastruktur macht längst keine echten Probleme mehr, denn die kann man inzwischen an „Profis“ abgeben. Gejammer findet nur noch auf sehr hohem Niveau statt. Zugleich hat sich das Gefühl für das eigene Unternehmen verändert, denn Fluktuation, erste Rückschläge und die beständige Suche nach der eigenen Rolle bestärken eher die Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“, als dass sie dafür sorgen, dass Veränderung akzeptiert wird.
Warum lernen wir nicht aus den Fehlern anderer?
Warum tauchen die meisten der beschriebenen Probleme in beinahe jedem Unternehmen in ähnlicher Art auf? Warum tappen wir immer wieder in die gleichen Fallen, obwohl diese Herausforderungen doch eigentlich schon von tausenden von Unternehmen durchlebt worden sind und deshalb vermieden werden könnten? Es drängen sich Parallelen zu den verschiedenen Phasen der Adoleszenz auf – einem Prozess der in jeder Generation ähnlich erlebt wird und in dem dennoch für den Erlebenden scheinbar jede Problemstellung ein Novum zu sein scheint.
Die Erfahrung lehrt, dass man aus Erfahrung nicht lernen kann. Nichts ersetzt die selbst an der Herdplatte verbrannte Hand.
Alarmmarkierungen und die Auswege aus der Schmerzfalle
Ist es tatsächlich so, dass ein Wachstum nicht klug und vorausschauend begleitet werden kann? Organisationen sind ja schließlich (so sollte man meinen) keine Kleinkinder oder hormonberauschte Teenager. Mit konsequenter Beobachtung und dem Wissen um die richtigen Zeitpunkte, an denen Handlungsbedarf besteht, kann ein vorausschauendes Coaching vielleicht nicht alle Symptome komplett vermeiden, aber ihre Effekte minimieren und eine Chronifizierung vermeiden.
Die in der Growth Pain Matrix markierten Alarmmarkierungen signalisieren Handlungsbedarf, die korrespondierenden Felder der Growth Fix Matrix machen Vorschläge, womit der Weg aus der Schmerzfalle gefunden werden kann.
Hinter jedem Feld verbirgt sich ein erprobtes Beratungspaket, das Schmerzen minimiert und so ein Unternehmen, seine Organisation, seine Prozesse und Mitarbeiter nachhaltig erfolgreich macht.
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