Was nicht sein kann, darf nicht sein? – oder wie wir lernen müssen, eine andere Haltung zur Digitalisierung in der Touristik zu haben.

VIR Vorstand Michael Buller

Michael Buller, Vorstand des VIR (Verband Internet Reisevertrieb)

Mein Thema der Woche ist eigentlich ein Thema, dass mich nun bereits seit vielen Jahren begleitet. Denn solange beobachte ich schon, dass in allen Branchen die Schlacht um die folgende Frage geführt wird: wer ist eigentlich der bessere Vertriebskanal, ON oder OFF?

Die Frage branchenintern zu stellen ist eigentlich ziemlich albern, denn der Kunde entscheidet, was für ihn am meisten Nutzen bringt und über welchen Kanal er letztendlich kauft. Die Presse wird dabei fleißig mit Informationen befüllt, die sie zum Teil blind übernimmt und jeder Strohhalm wird zum Comeback der alteingesessenen Vertriebskanale erklärt (warum eigentlich?). Befeuert wird dies auch durch einige Verbände, die die Veränderungen besser tot schweigen, anstatt sie zur Aufgabe eines Wandels ihrer Industrie zu verstehen.

Das Buzzword dazu ist in den letzten Jahren „disruptiv , also „zerstörend“, geworden. Ich finde, das trifft die Sache leider nicht wirklich und es suggeriert, dass hier eine Art Krieg geführt würde. Tatsache ist, dass  Dinge sich verändern weil neue Möglichkeiten auftauchen. Manche Unternehmen schaffen es, diese neuen Möglichkeiten für sich zu nutzen (und überdenken sogar ihr komplettes Geschäftsmodell) und andere werden komplett überholt von Branchefremden, die die neuen Möglichkeiten eben zum Nutzen von Kunden einsetzen. Das passiert übrigens nicht nur seit dem Internet oder betrifft nur Online vs. Offline, sondern ist die ganz normale Entwicklung über Jahrhunderte von Wirtschaftsgeschichte.

Der VIR versucht seit Jahren, die Schwarzmalerei zur Digitalisierung in ein Bild als Chance (für alle) zu wandeln – zugebenermaßen nicht immer mit Erfolg und mit Rückschlägen. Auch versuchen wir, auf Basis von Studien ein neutrales Bild der Entwicklung der Digitalisierung aufzuzeigen, weil sie doch alle betrifft, egal ob man dafür oder dagegen ist.

Wir leben bereits in einer digitalen Welt ©itestro

„Die Digitalisierung ist bereits in unserem Alltag“ ©itestro

Man muss nur die Augen aufmachen und stellt fest, wie verankert die Digitalisierung schon in unserem Alltag ist. Musik oder Filme werden heute live gestreamt, Bestellungen geben wir über Amazon & Co auf, WLAN Router, die noch vor Jahren Firmen vorbehalten waren, sind ebenfalls heute Standard im eigenen Haushalt, Heizung oder Rollos werden via APP gesteuert, Drucker werden kabellos angesteuert usw. usw.

Dies alles ist mittlerweile nichts Außergewöhnliches mehr. In modernen Autos ist bereits die Verbindung zwischen Handy und Auto möglich, um sogar dort ins Internet zu gehen oder das Auto mit der App zu öffnen. Alles kein Problem. Auch ein Smartphone zu besitzen ist mittlerweile vollkommen normal. Damit von unterwegs via Email oder Whatsapp zu kommunizieren oder etwas in Facebook zu posten gehört zu unserem ganz normaler Alltag.

Andere Branchen denken bereits weiter und eben deutlich über ihre Branche hinaus. So hat sich letztes Jahr die Automobilindustrie der Smart Home Initiative angeschlossen. Nicht weil sie Haushaltsgeräte ins Auto einbauen wollten, sondern weil sie vor haben, z.B. die Heizung zu Hause intelligent mitzusteuern (beim Wegfahren wird die Heizung heruntergefahren – natürlich nur wenn keiner zu Hause ist, denn das bekommt der Sensor zu Hause eben mit).

Nach dem Motto „everything is a Service“ werden wir uns darauf einstellen müssen, dass Dinge und Prozesse immer mehr vernetzt werden – und das branchenübergreifend.

Für mich stellt sich seit Jahren schon die Frage, wann wir als TOURISTIK endlich damit anfangen. Sei es auch nur im Kleinen, wie z.B. dem Kunden die Möglichkeit zu geben, seinen Kühlschrank vor seiner Heimreise zu füllen.

Die Frage ist also, warum wird in der eigenen Branche die Digitalisierung so nieder geredet? Sie wird auch nicht an der Touristik vorbei gehen und Chancen, die wir nicht ergreifen, werden dann eben von Branchenfremden realisiert. Als aktuelles Beispiel ist hier Urlaubsguru zu sehen.

Es gibt keinen guten oder schlechten Vertriebskanal, nur einen, der die Wünsche des Kunden erfüllt und Nutzen für ihn stiftet. Wer gut oder schlecht ist, entscheidet der Kunde und das kann sich durchaus im Produkt unterscheiden. Vermutlich ist ein Mix von Off- und Online auch eine Lösung.

Ein Verband hat meiner Ansicht nach die Aufgabe, Chancen und Entwicklungen faktisch aufzuzeigen und sie nicht zu Gunsten des gewünschten Ergebnisses, das alle gerne hören wollen, darzustellen.

df-2016-Der VIR gibt jedes Jahr ein Umfangreiches Werk an Studien in Zusammenarbeit mit Nielsen, GfK, Reiseanalye, Web-Tourismus und ruf reisen in Form der „Daten & Fakten zum Online-Reisemarkt“ heraus. Die Veröffentlichung findet jährlich zur ITB statt. Unser Anliegen damit ist es, neueste Entwicklungen in der Digitalisierung vorzustellen, damit sich ein kompletter Markt darauf ausrichten kann.

Dieses Jahr mussten wir feststellen, dass ein anderer Verband mit dem gleichen Zahlenmaterial auf ganz andere Ergebnisse kam – und dieses bereits vor der ITB veröffentlicht hat. Die Presserklärung erinnerte mich an die Aussage des letzten Deutschen Kaisers Wilhelm II, der zum Automobil sagte „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung“

Die einzige Zahl, bei der wir Übereinstimmung hatten, war beim Marktvolumen von 58 Mrd.. Beim Rest kamen wir zu komplett anderen Ergebnissen. Bei näherem Betrachten der Zahlen stellt man fest, dass man alles, was nicht direkt über einen online Kanal gebucht wurde, großzügig dem offline Kanal zugeordnet hatte – selbst Buchungen über Email (was alleine 6,2 Mrd ausmacht)?

Dabei gibt es klare Unterscheidungsmöglichkeiten in der angeführten GFK Studie, wie viel online gebucht wurde oder was über einen persönlichen Besuch eines Shop gebucht wurde und was über andere Kanäle wie Telefon, Email, usw. gebucht wird. Schnell gelesen (und so hat es sogar mancher Fachjournalisten geschrieben) hörte sich das erst mal so an, als ob nur 35% über online Vertriebsstelle gebucht wird und der Rest geht ins Reisebüro.

Wenn man die angewandten Zahlen jenes Verbandes nimmt, zeigt sich  folgendes Bild: (Die Daten wurden uns von der GfK zur Verfügung gestellt)

Man sieht also deutlich, wenn man schon so genau ist, im Online Bereich ausschließlich Online-Buchungen zu nehmen, dann hätte man beim Offline Bereich ebenfalls sehr genau sein müssen und stellt fest, dass heute schon mehr online gebucht wird, als über einen persönlichen Besuch in einer Vertriebsstelle.

An den Zahlen ist zu sehen, dass das Wachstum im Onlinebuchungskanal über 4x so hoch ist, wie im beim persönlichen/ vor Ort Buchungskanal. Auch muss man eingestehen, dass der Wachstumstreiber der Onlinebuchungskanal ist, so wie in den Vorjahren eben auch.

Bei den Buchungskanälen Email, Telefon oder sonstige Buchungskanälen ist nicht klar, über welchen Vertriebskanal gekauft wurde, ebenso wie im Online Bereich. Denn auch dort sind Buchungen über die Webseiten, der nicht rein digital vertreibender Unternehmen, enthalten. Mindestens jedoch hätte man Email als digitalen Kanal zuordnen müssen – denn meines Wissens nach ginge das nämlich kaum ohne die Internetentwicklung!

Ich kann hier also nicht rauslesen, dass alles so bleibt wie es ist und digital am Stillstand ist. Auch ein Comeback der Offline-Welt ist dabei nicht ersichtlich, selbst wenn zum  letzten Jahr  die Anzahl der  Reisebüros um 51 Stück gestiegen ist, wenn zur gleichen Zeit Google beim Begriff „Reisen“ 96 Mrd Möglichkeiten anzeigt.

Zudem kann ich nicht sehen, dass in der Pauschalreise alles so bleibt wie es ist. Wie könnte man sich sonst den Erfolg in Deutschland von z.B. Expedias Klick & Mix, Airbnb oder Booking.com erklären – oder sind über 2 Mrd. Umsatz hier auch nur eine Randerscheinung?

Wir brauchen eine deutlich andere Haltung zur Digitalisierung, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen: nämlich nicht Böse sondern als Chance, nicht Gefahr sondern Notwendigkeit. Und das gilt sowohl für die Branchenbeteiligten, für Journalisten (die durchaus mal Zahlen kritisch hinterfragen sollten), als auch für die Politik, die eher die Förderung im Auge haben sollte, als Gefahr zu laufen, die Digitalisierung in Europa zu Tode zu regulieren (dieser Wettbewerb ist weltweit und nicht europäisch).

Die Digitalisierung ist spannend und hat große Chancen – und das alleine, weil sie branchenübergreifend ist und damit neue Möglichkeiten von Geschäften mit sich bringt. Es kann Spaß machen und zu neuen Konzepten führen, selbst für klassische Reisebüros wie z.B. die Sonnenklar Reisebüros auch aufzeigen. Ja ein bisschen weh tut sie auch, weil man sich von der Bestandssicherung ein wenig verabschieden und am Ball bleiben muss, aber gehört das nicht zum Unternehmertum?

Die Welt hat sich insbesondere in den letzten 100 Jahren erheblich verändert und ich finde, nicht zu ihrem schlechtesten. Die Geschwindigkeit der Veränderungen nimmt allerdings zu, aber mit ein bisschen Neugier,  Mut und einem gesunden Menschenverstand kann man ohne Problem Schritt halten, man muss es halt nur tun.

VIR Vorstand Michael Buller

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