Experten-Talk

Start-up Coaching – Tipps von Gründercoach Axel Jockwer

Gründercoach Axel Jockwer als Juror bei den VIR Online Innovationstagen 2016

Gründercoach Axel Jockwer als Juror bei den VIR Online Innovationstagen 2016

Ein Gastbeitrag von Axel Jockwer, Gründercoach und Managing Director Blackroll AG

1998 habe ich das erste Mal gegründet. Wir waren zu dritt und keiner kannte das Wort „Start-up“. Wir blieben auch zu dritt, wir haben nicht „skaliert“, hatten keinen Investor, keine Mitarbeiter und eigentlich auch keine Strategie. Seitdem konnte ich viel Erfahrung sammeln, viel Wissen generieren und durfte einige junge Unternehmen (zum Beispiel HolidayCheck, apeary, Beach-Inspector, Blackroll) auf ihrem Weg begleiten. Hier mal ein paar gesammelte Weisheiten aus den letzten Jahren.

Strategie

Die strategische Basis ist in der Ideenphase meist sehr wackelig, die Vision wage und die Mission unausgegoren. Kundenzentrierung und Marktorientierung sind für mich das Non-plus-Ultra, um ein Produkt zu evaluieren? Löst das Produkt ein echtes Kundenproblem? Reagiert es auf ein vorhandenes Bedürfnis? Wie sieht der Markt aus? Verändert sich dieser? Wer könnte Mitbewerber sein?

Eine richtig gute Idee muss nicht zwangsläufig brandneu oder absolut einzigartig sein. Viel wichtiger als die Idee ist es, an welcher Stelle sich der Markt gerade befindet. Auch super Ideen können verpuffen, wenn der Zeitpunkt des Markteintritts nicht gekommen ist oder aber der Markt bereits von anderen Teilnehmern bedient wird.

Passen Idee und Markt, dann sollte man sich schnell die Frage stellen, ob ein mögliches Geschäftsmodell das Potential zum Skalieren hat. Hier wird schnell klar, ob ein Start-up das Zeug dazu hat, mal richtig groß zu werden. Investoren lieben die Phantasie und passende Erlösmodelle. Schön ist, wenn man auch zeigen kann, dass Erlösmodelle von heute vielleicht in Zukunft durch andere ersetzt werden können. Klick-Out-Modelle zum Beispiel sind im mobilen Internet weit weniger erfolgreich.

Struktur und Prozesse

Skalieren bedeutet auch Wachstum. Es entstehen erste Strukturen und sinnvolle Prozesse. Projektarbeit beginnt, es gilt nun entsprechend der Strategie zu priorisieren und konsequent abzuarbeiten. Mit den ersten Strukturen wird in der Regel der Grundstein für Abteilungen gelegt. Prinzipiell nicht falsch, doch „Wehret den Anfängen“, denn fast immer folgt hieraus das gefürchtete „Abteilungsdenken“. Plötzlich sprechen „die vom Marketing“ und „die IT“ nicht mehr wertfrei miteinander, sondern schieben sich den schwarzen Peter zu. Hier gibt es inzwischen jede Menge neue Ideen, wie man zum Beispiel mit agilen Projektteams besser Kompetenzen kombinieren kann als Abteilungen gegeneinander kämpfen lässt.

Gerne vernachlässigt wird übrigens der Vertrieb. Gerade wenn man ein wirklich sinnvolles Produkt hat, fehlt vielen Mitarbeitern doch das Talent und der Mut, es an den Mann zu bringen. Vertrieb gehört zum Marketing, nicht nur die bunte Kommunikation!

Happy child playing with toy wings against summer sky background. Retro toned

© Sunny studio – Fotolia

HR

Start-ups brauchen Mitarbeiter, haben aber kein Geld. Es wird in der Regel jung und günstig rekrutiert. Das bedeutet aber auch: unerfahren. Alle haben den Tisch voller Arbeit, man braucht dringend Verstärkung. Wenn dann aber ein „Neuer“ dazukommt, bleibt in der Regel viel zu wenig Zeit, um diesen auch wirklich gut und nachhaltig „zum Laufen zu bringen“. Wer lernt junge Talente ein, fördert und fordert sie, wenn jeder im Alltag ertrinkt? Gerade hier bin ich in letzter Zeit oft als „Corporate Coach“ unterwegs.

Jung und unerfahren, aber mit großen Erwartungen an den Wohlfühlfaktor: Die Generation Y will mehr als Geld. Work-Life-Balance, Gesundheit, Sport, Nachhaltigkeit, Nestwärme – so kann man punkten und Menschen langfristig binden. Beispiel Blackroll: Die Gesundheit der Mitarbeiter gehört zum Markenkern – also wird gemeinsam gerollt, Yoga gemacht und gesund gegessen.

Führung

Gute Gründer müssen auch gute Führungskräfte sein. Oder sie müssen die Führung organisieren und sich auf ihre Kernkompetenzen (z.B. Business Development) konzentrieren. Für viele ist das ein Leidensweg, da das Eingeständnis, nicht führen zu wollen oder zu können, gleichbedeutend mit Schwäche scheint.

Die in Unternehmen gängige Kultur, dass gute Mitarbeiter durch Führungsverantwortung belohnt werden, gehört unbedingt hinterfragt – nicht nur in Start-ups. Im schlimmsten Fall verliert man so eine gute Fachkraft und schafft eine unglückliche Führungskraft, die wiederum unzufriedene Mitarbeiter hervorbringt, Auch hier gilt in letzter Zeit mein Engagement der individuellen Evaluation und Entwicklung von Mitarbeitern entsprechend der Struktur.

Marke

Viele Start-ups wollen zu viel, können dies und jenes auch noch und verlieren dabei den roten Faden. Featurismus statt Fokus ist ein Holzweg, den viele Unternehmen schmerzhaft kennen gelernt haben. Hier gehört unbedingt ein klarer Blick auf die strategischen Fundamente dazu. Der Weg zur Marke führt über absoluten Fokus und nicht durch das Gebärden als eierlegende Wollmilchsau. In diversen Strategiecoachings flogen bereits die Fetzen, wenn der blinde Aktionismus wieder in Bahnen gebracht wurde. Echte Highlights…

Ich freue mich auch im nächsten Jahr wieder auf den VIR Innovationswettbewerb Sprungbrett und auf die Menschen dahinter, die Geschäftsmodelle und die Markteinschätzungen. Schön, dass es die Veranstaltung gibt!